Titelseite

Übersicht

Ein Vorwort

Zur Einführung

Über die Arbeiterbewegung

Auf dem Weg zu einer sozialen Schweiz

Zur Entwicklung der SP im Kanton Bern

Aus der Geschichte der SPU

Der Allgemeine Arbeiterverein Unterseen

Erster Arbeiterverein

Reaktivierung zum zweiten Arbeiterverein

Die sozialdemokratische Partei Unterseen

Namensänderung am 1. Mai 1918

Parteiorganisatorisches

Politisches Wirken in der ersten Nachkriegszeit

Streitpunkte, Stellungnahmen, Entwicklungen

Gleichberechtigung der Frauen

Gemeindewahlen

Schlussbemerkungen

Verzeichnisse

SPU - Parteipräsidenten und Parteisekretäre

SPU-Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte

SPU-Mitglieder im Bernischen Grossen Rat

Benutzte Quellen und Publikationen

Politisches Wirken in der ersten Nachkriegszeit

Kampf um Anerkennung in der Gemeinde

Für eine Stärkung der Gemeinde

Im Sommer 1918 wurde im Kanton Bern über ein neues Steuergesetz abgestimmt. Da nach dem vorher gültigen Gesetz jeder Steuerzahler am Erwerbsort und nicht wie heute am Wohnort steuern musste und zu dieser Zeit viele Unterseener in Interlaken, zum Beispiel in der Hotellerie, ihren Lebensunterhalt verdienten, war es um die Gemeindefinanzen im Stedtli sehr schlecht bestellt. So betrugen im Jahr 1913 in Interlaken die Einnahmen der Gemeinde bei ca 3800 Einwohnern im Ganzen Fr. 584'000.-, während Unterseen bei ca 3300 Einwohnern im gleichen Jahr nur Fr. 84'000.- einnahm, dies sogar bei einer individuell um 40% höheren Steuerbelastung! Interlaken verfügte demnach damals pro Einwohner über Fr.155.20, Unterseen dagegen trotz massiv höherer Steueranlage nur über Fr.25.70, also über einen gut sechs Mal geringeren Betrag. Die junge SPU wusste, wie stimmen und sorgte dafür, dass alle ihre Wähler zur Urne gingen. An ihrer Versammlung vom 6.Juli 1918 in der Aarburg wurde darüber protokolliert: „Der Präsident ersucht die Anwesenden, alle zur Urne zu gehen und macht die Genossen aufmerksam über die Stimmkontrolle, dass sie diese vor dem Schulhaus abgeben sollten." Jedes Mitglied zeigte mit seinem parteiinternen Ausweis den eigenen Wahlorganisatoren an, dass es seine Stimmpflicht erfüllt hatte.

Örtlicher Widerstand gegen die SP

Den politischen Aktivitäten der Partei blies auf dem Bödeli ein rauher Wind entgegen. Einen Monat vor dem landesweiten Generalstreik beschloss die Parteiversammlung am 12.Oktober 1918 betreffend der Wahlpropaganda für die schweizerische Proporzinitiative der SP (der 13.Oktober war der Abstimmungssonntag), dass man „die übrigen Plakate auch erst am Morgen anschlage, sonst werden sie sowieso heruntergerissen." Aus der Versammlung kam „die Anregung, dass während der Wahldauer immer 1-2 Mann vor dem Wahllokal sind, um die Stimmenden zu kontrollieren".

Auseinandersetzungen in der Gemeinde

Die Partei musste um ihre Rechte kämpfen, um in Gemeindeangelegenheiten besser mitreden zu können. Am 21.Juni 1919 verlangte sie, „dass wichtige Gemeindeangelegenheiten jeweilen frühzeitig vor der Gemeindeversammlung oder Abstimmung der Partei zur Einsicht gegeben werden, dies zur Hebung des Interesses der Parteimitglieder in Gemeindesachen wie auch zur Hebung des Einflusses der Partei in solchen."

Das Jahr 1919 war gekennzeichnet durch örtliche Arbeitskämpfe. Der Unionsdelegierte berichtete am 21.November, „die Verhandlungen der Union mit der Firma Naef, Schneider in Unterseen (der späteren Mühlen AG) haben keinen definitiven Erfolg gezeitigt, dagegen glaubt Jossi, dass die Kündigungen, welche Schneider seinen organisierten Arbeitern erteilte, rückgängig gemacht würden". „Die Arbeitgeber wollten mit den Bauarbeitern keine Verhandlungen eingehen, bis die Arbeiter die Arbeit wieder aufnehmen."

Auf Antrag der Partei wurde im Jahre 1919 der Holzertag in der Gemeinde von Donnerstag auf den Samstag verlegt, an dem die Arbeiter am ehesten Zeit zum Holzsammeln hätten. Die Änderung wurde als besonderer Erfolg der politischen Arbeit in der Gemeinde bewertet. Und am 19.Dezember 1919 gab „Genosse Jossi Aufschluss über die Konzertsaalinitiative und sagt, dass der Turnverein der Initiant sei und dass der Hauptgrund doch eine Turnhalle sei. Er hat in der ersten Sitzung der Vereine darauf hingewiesen, dass auch die politischen Vereine zugezogen werden sollten."

Am 5.März 1920 wurde bekannt gegeben, „dass die Maler und Gipser auf dem Platz Interlaken in den Streik getreten sind." Am 19.März wurde gefordert, „dass die Stimmkarten früher verteilt werden sollten und nicht erst am letzten Tag." Zudem wurde appelliert, „ die bürgerlichen Blätter aus dem Hause zu schaffen und dafür die Parteipresse zu lesen und zu abonnieren; denn sie allein bringt Aufklärung." Am 21.April wurde anlässlich einer Lehrerwahl gerügt, „dass wir nun vor der Kalamität stehen, dass wir keinen Vertreter aus der Partei in der Schulkommission haben, sonst würden wir besser unterrichtet sein in solchen Sachen."

Am 8.Dezember 1920 wurde bekannt, dass ein Spezereihändler sich gegen die streikenden Werkstättearbeiter dahin geäussert habe, „dass er sie als faule Kerle etc. titulierte und beantragt, dass man über die Festzeit an solches denken solle und überhaupt nichts mehr konsumiere bei dem." Am 20.Dezember 1920 wurde festgestellt, „weil nun wieder eine grosse Arbeitslosigkeit sei", müsse die Arbeitsbeschaffungskommission wieder funktionieren. Dem Bauunternehmer Kummer sei aufgetragen worden, beim Bau der Seidenfadenstrasse in erster Linie die Arbeitslosen von Unterseen zu beschäftigen. - Über das Arbeitslosenelend schrieb der Parteipräsident in seinem Jahresbericht:

 

„Hunderttausende von fleissigen Arbeiterhänden müssen heute infolge einer total verrückten Wirtschaftsordnung feiern, sind ohne Arbeit, müssen die Bundeshilfe beanspruchen, damit sie sich und ihre Familien nicht dem Hungertod übergeben müssen. Doch bei der geringen Unterstützung, die den Arbeitslosen zukommt, muss doch festgestellt werden, dass in breiten Kreisen der Betroffenen Hunger, Not und Elend täglicher Gast geworden sind. Die Arbeiterschaft, die keine Schuld an der Weltkrise trägt, höchstens diejenige, dass sie sich nicht mit aller Kraft gegen den Weltkrieg gestemmt hat, ist nun dazu verdammt, in erster Linie auch jetzt wieder als Opfer bluten zu müssen."

Erfolge

Die erste 1.Maifeier nach dem Generalstreik

Die Hauptaufgabe der Arbeiterunion war das Organisieren der 1.Mai-Feier mit Umzug. Im Jahresbericht 1919 der SPU wurde festgehalten:

„An grösseren und öffentlichen Aktionen sind zu verzeichnen die Maifeier, welche wieder zum ersten Male seit dem grossen Völkermorden mit einem prächtig gelungenen Demonstrationsumzug gefeiert wurde. Die musikkundigen Genossen vom

Bödeli scharten sich zusammen, und so entstand eine flotte Festmusik. Als Festredner amtete Genosse Nationalrat Nobs aus Zürich."

Referent war der aus Grindelwald stammende Ernst Nobs, eines der vier Mitglieder des Oltener Generalstreikkomitees, die zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden waren und diese auch absitzen mussten. Seine Popularität in der Arbeiterschaft hatte nicht gelitten.

Die ersten Nationalratswahlen nach Proporz - 1919

Für die Vorbereitung der ersten Proporzwahl des Nationalrates wurde die Parteiarbeit intensiviert. Am 12.September 1919 beschloss die Partei, jeden Monat einen Diskussionsabend durchzuführen, und am 3.Oktober wurde für die bevorstehenden Nationalratswahlen nach Proporz geworben. Zur Durchführung der Wahl sollte „ein Kontrollbureau eingerichtet werden, „damit man einmal eine genaue Kontrolle habe, wer gestimmt habe und wer nicht, damit man die Säumigen durch die Radfahrer an die Urne holen könne." Am 24.Oktober gab der Parteipräsident der Versammlung bekannt, „dass am 25. und 26.Oktober unser Schicksalstag sei und appellierte an die Genossen, dass sich ein jeder mit Leib und Seele der Sache widme und sich den Bestimmungen der Partei füge." Der zurückgetretene Parteipräsident Jossi erläuterte anschliessend, „wie die bürgerlichen Bätter die Wahlpropaganda benutzen, und wie sie uns als Bolschewiki, Hunde, Wölfe im Schafspelz und Staatsschmarotzer titulieren." Am 21.November 1919 „gibt Genosse Steiner einiges bekannt über die Wahlen in den von den Radfahrern besorgten Gemeinden." Der Radfahrerverein wurde eingesetzt, um Wahlmaterial in verschiedenen Gemeinden des Amtes zu verteilen. Bei diesen ersten Nationalrats-Proporzwahlen gewann die SPS zusätzlich

21 Sitze. Mit einer Fraktionsstärke von 41 Sitzen musste sie künftig in der eidgenössischen Politik beachtet werden.

Die ersten Proporzwahlen in der Gemeinde - 1921

An der ausserordentlichen Parteiversammlung vom 18.März 1921 wurde das Proporzreglement der Gemeinde beraten. Zur Vorbereitung der bevorstehenden ersten Proporzwahlen in der Gemeinde wurde dann das Begehren gestellt, „in nächster Zeit die Vertrauensmänner einzuberufen zwecks Stimmkontrolle." Am 31.März und am 25.April bereitete der Vorstand die Wahllisten vor; er war mit Emil Diggelmann als Gemeindepräsident einverstanden und stellte Genosse Beuggert Arnold als Gemeindevicepräsident auf. Die sieben Wahllinien für den Gemeinderat wurden mit Beuggert Arnold, Jossi Hans, Michel Gottlieb (alle drei kumuliert) und mit Wirth Hans (unkumuliert) besetzt. In ähnlicher Weise wurden die Vorschläge für die Primarschulkommission, die Armenbehörde, die Polizeikommission, die Bau- und Strassenkommission, die Finanzkommission und die Sekun-darschulkommission aufgestellt. Die beiden von der SP bei ihrer Wahl an der Gemeindeversammlung unterstützten und anschliessend in die Partei aufgenommenen Lehrer Willi Felber und Heinz Schlegel wurden gleich als Propagandaleiter und Zeitungsschreiber bestimmt.

Am 30.April diskutierte die Parteiversammlung über die aus ihrer Mitte gestellte Frage, „warum die Partei die Frauengruppe nicht eingeladen habe, um an den Versammlungen teilzunehmen. Der Fall wurde vom Präsidenten aufs gründlichste erklärt." Betreffend der 1.Mai-Feier mahnte der Präsident „alle Genossen, zu erscheinen und während dem Umzug und dem Referat dem Alkoholgenuss zu entsagen." Nebenbei wurde über „den Fall der Soz.dem. Frauengruppe" erklärt, „dass diese als solche am Umzug jedenfalls nicht teilnehmen werde." Die der Partei angehörenden Frauen waren bei den Wahlvorbereitungen nicht beigezogen worden und verzichteten in der Folge demonstrativ auf die Teilnahme am Maiumzug.

Am 26.Mai 1921 wurde festgehalten, „dass der Grütliverein die Bauern- und Bürgerpartei angefragt habe wegen der Listenverbindung, dass die Bürgerpartei es aber abgelehnt habe." An der Versammlung vom 8.Juli 1921 berichtete der Parteipräsident über einen erfreulichen Verlauf der Wahlen, welche die Partei Fr.359.60 gekostet hätten und dankte für die gute Propaganda. Am 5.Juli habe die erste Sitzung des neuen Gemeinderates stattgefunden; er werde demnächst die Beleuchtungskommission, die Grundsteuerschatzungskommission, die Feuerwehrkommission, die Schwellenkommission, die Verkehrskommission und die Jugendfürsorgekommission neu besetzen. Die in der ersten Gemeindeproporzwahl von der SP angewandte Wahlorganisation mit Vertrauensleuten und Stimmkontrolle wurde später beibehalten.

Der erste sozialdemokratische Grossrat aus Unterseen - 1922

Anlässlich der Grossratswahlen im Mai 1922 wurde aus Unterseen der bei der BLS-Werkstatt angestellte Johann Jossi, Maler gewählt. Er hatte als Präsident des Arbeitervereins Unterseen einen allgemeinen Bekanntheitsgrad erreicht und war in den ersten Gemeindeproporzwahlen in Unterseen ebenfalls als Gemeinderat gewählt worden. Nach seinem ersten Auftritt in Bern berichtete er am 7.Juni 1922 an der Parteiversammlung „noch kurz über den Verlauf der ersten Grossratssitzung". Jossi gehörte dem Grossen Rat bis 1930 an. Er musste krankheitshalber auf eine Wiederwahl verzichten und starb wenig später. Als sein Nachfolger wurde bei den Grossratswahlen 1930 der von der Grütlianern 1926 als Grossrat gewählte und dann zur SPU übergetretene Albert Wägeli portiert und wieder gewählt. Doch trat Wägeli kurz darauf aus der SP aus.