Titelseite

Übersicht

Ein Vorwort

Zur Einführung

Über die Arbeiterbewegung

Auf dem Weg zu einer sozialen Schweiz

Zur Entwicklung der SP im Kanton Bern

Aus der Geschichte der SPU

Der Allgemeine Arbeiterverein Unterseen

Erster Arbeiterverein

Reaktivierung zum zweiten Arbeiterverein

Die sozialdemokratische Partei Unterseen

Namensänderung am 1. Mai 1918

Parteiorganisatorisches

Politisches Wirken in der ersten Nachkriegszeit

Streitpunkte, Stellungnahmen, Entwicklungen

Gleichberechtigung der Frauen

Gemeindewahlen

Schlussbemerkungen

Verzeichnisse

SPU - Parteipräsidenten und Parteisekretäre

SPU-Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte

SPU-Mitglieder im Bernischen Grossen Rat

Benutzte Quellen und Publikationen

Gleichberechtigung der Frauen

Erste Frauen in der SPU

Am 10.April 1916 wurde mit Rosa Imboden erstmals eine Frau in den Arbeiterverein aufgenommen. Am 30.Juni 1917 wurde orientiert über die Strickfabrik, „die in Unterseen nächstens eröffnet werde ... und die Anregung gemacht, man möchte die Frauen und Töchter einladen, die im Sinne haben, in diese Strickfabrik einzutreten, zu einer gemeinsamen Sitzung zwecks Gründung eines soz.demokr. Frauenvereins." Es wurde beschlossen, „sobald es günstig und die fragliche Fabrik in Aktion ist, die Frauen und Töchter aufzuklären, sodass sie schon vom ersten Tag an gewaffnet dastehen, und nicht vom Capital elend ausgesogen und mit Hungerlöhnen abgespiesen werden." In die Kommission zur Vorbereitung dieser Aktion wurden gewählt: Frau Beer, Frau Feller, Frau Imboden und die Genossen Beer und Feller. Am 20.Oktober 1917 soll „mit der Gründung einer Frauengruppe nun einmal ernst gemacht und die nötigen Vorarbeiten sofort an die Hand genommen werden."

Die Forderung nach dem Frauenstimm- und -Wahlrecht ist alt. Nach einer langen Vorgeschichte erklärte erstmals das Gemeindegesetz von 1917 die Frauen als in die Schul-, Armen- und Gesundheitskommissionen wählbar, 1932 kam die Vormundschaftskommission dazu. In der Folge wurden manchenorts einzelne Frauen in die Parteien aufgenommen und in diese Kommissionen gewählt. In Interlaken bestand bereits im Jahr 1919 eine Frauengruppe der Partei, in der auch sozialdemokratische Frauen aus Unterseen mitmachten. Diese nahmen aber ebenfalls an den Parteiversammlungen in Unterseen teil. An der SPU-Versammlung vom 21.November 1919 wurde „in die Frauengruppe aufgenommen Frau Stalder. Ausgetreten sind Frau Küng und Frl. Schaub infolge Verlassen der Gemeinde." Der Präsident gab bekannt, dass demnächst eine kantonale Frauenkonferenz in Bern stattfinde. Die Delegierte dafür wurde von der Parteisektion bestimmt.

Am 4.November 1921 schrieb die Frauengruppe, sie beabsichtige sich der Partei anzuschliessen, ihre Beiträge in die allgemeine Kasse fliessen zu lassen und ihre Ausgaben auch daraus zu decken. Doch der Parteivorstand beschloss am 23.November „nach reger Diskussion und reiflicher Prüfung, der Frauengruppe ihr Gesuch zu verweigern, da unsere Parteikasse sowieso auf schwachen Füssen steht, ohne dass man noch weitere Ausgaben hätte und man nicht wieder das Gezänk und Streit in der Partei haben möchte." An der Parteiversammlung vom 6.Januar 1922 ergänzte der Parteipräsident aber den Standpunkt des Vorstandes, „dass wir in diesem Falle gegen die Parteistatuten arbeiten, wo es ausdrücklich heisse, die Sektionen hätten die Frauenbestrebungen möglichst zu unterstützen und emporzuheben, und dass die Parteien Interlaken und Bönigen ihre Frauen auch wieder aufgenommen hätten." Darauf wurde aus der Versammlung gewünscht, „der Vorstand möchte der Frauengruppe mitteilen, dass sie sich nicht auflöse, und dass die Partei ihnen beistehen möchte. Der Antrag von Genosse Arnold Beuggert siegte mit 14 gegen 4 Stimmen."

Die Frauen hatten mit ihren Anliegen bei der Partei vorerst wenig Gehör. Am 8.September 1922 verlangten sie, die Partei möchte „die nötigen Schritte bei den Gemeindebehörden um Einrichtung einer Haushaltungsschule" unternehmen. Die Versammlung war jedoch „allgemein der Ansicht, sich vorläufig mit der Angelegenheit nicht zu befassen und der Frauengruppe ein aufklärendes Schreiben zukommen zu lassen." Erst fünf Jahre später, am 28.Mai 1927, wurde berichtet, dass nun im 8. und 9. Schuljahr der geforderte hauswirtschaftliche Unterricht erteilt werde.

Bereits für die ersten Proporzwahlen in der Gemeinde im Jahr 1921 wurden von der SPU Frauen aufgestellt. Als erste Frau wurde damals von der SP-Liste Frau Rosa Beer in die Primarschulkommission gewählt, ihr folgte als zweite im Jahr 1924 Frau Johanna Felber-Hubacher in die Armenkommission. Am 16.November 1928 wurde der Partei ein Schreiben der Frauengruppe überreicht, in welchem diese bei den bevorstehenden Gemeindewahlen „Vertretungen in der Schulkommission und in der Armenkommission" wünschte. Den Anliegen wurde wiederum stattgegeben.

Am 22.Februar 1930 verlangte „die Frauengruppe in Hier" erneut, in die Partei aufgenommen zu werden. Dem Anliegen wurde an der Parteiversammlung vom 30.März einstimmig entsprochen und die Frauen als Einzelmitglieder aufgenommen. Dabei wurde ein reduzierter Preis für die Monatsmarken festgesetzt, „da die Mehrzahl der Genossinnen Frauen unserer Genossen seien, und für zwei Personen monatlich zu grosse Auslagen erwachsen würden".

Gründung einer eigenen Frauengruppe

Die Gruppe der Frauen half bei verschiedenen Parteiaktivitäten mit und erwarb sich mit der Zeit das Wohlwollen der Parteimänner. Am 15.August 1946 konnten die Frauen der Partei für einen Beitrag von Fr. 50.- danken. Im Frühling 1947, als sich die SPU nach der „Flucht aus dem Gemeinderat" neu organisierte und anschliessend an Bedeutung noch gewann, erteilte der Parteivorstand der kurz vorher als Lehrerin gewählten Margrit Brawand den Auftrag, die Frauengruppe wieder zu einer eigenständigeren Organisation zu entwickeln. Ziel war in erster Linie, das allgemeine Stimm- und Wahlrecht für die Frauen verwirklichen zu helfen. Es galt noch viel Widerstand zu überwinden, auch bei den SP-Männern selber.

Die SP-Frauen tagten anfänglich jeden zweiten Donnerstag eines Monats. Sie hörten sich Referate zu politischen Fragen an, organisierten Ferienplätze und Ferienlager für Arbeiterkinder, Delegierte besuchten Tagungen, man sang gemeinsam, es wurde vorgelesen, einzelne führten dazu Handarbeiten aus, für die Kinder wurden die traditionellen Weihnachtsfeiern vorbereitet, und dazu kam noch manch anderes.

Vom Kampf zur Einführung des Frauenstimmrechts

Am 21.April 1949 wurde über eine vorgeschlagene Erhöhung der Zahl der Kirchgemeinderatsmitglieder von 9 auf 11 diskutiert und gefordert, die zwei neuen Sitze sollten Frauen vorbehalten werden. Darauf erreichten die Unterseener Frauenorganisationen gemeinsam einen ersten Erfolg. Am 10.Februar 1950 wurde an der Hauptversammlung der Frauengruppe im Jahresbericht festgehalten:

„Mit dem gemeinnützigen Frauenverein und dem Frauenkomitee zusammen ist es endlich gelungen, dass eine Frau in den Kirchgemeinderat gewählt wurde."

Dabei ist besonders zu vermerken, dass an der entscheidenden Kirchgemeindeversammlung nach der durchgesetzten Frauenwahl der Präsident aus Protest die Kirche verliess.

Für die Frauen folgten andere, auch gute Erfahrungen. Die Frauengruppe half im Jahre 1953 bei der vom Frauenverein angeregten Gründung der Heimpflege mit. Unter den Frauen war viel guter Wille zur Zusammenarbeit vorhanden. An der im Falken stattfindenden Hauptversammlung vom 9.Februar 1955 ging ausgerechnet beim Traktandum Wahlen das Licht aus. „In der Dunkelheit gingen die Wahlen prächtig vonstatten. Demissionen lagen keine vor, und niemand räusperte sich, um uns abzusetzen, also in globo wiedergewählt!" schrieb die Protokollführerin.

Ein Höhepunkt in der Unterseener Frauengruppengeschichte wurde eine öffentliche Versammlung mit Anna Kethly am 18. Februar 1958 im Drei Schweizer. Sie war die erste Sozialdemokratin im Ungarischen Parlament, wo sie einen harten Kampf gegen politische Verfolgungen unter den Horthy-Faschisten führte. Später litt sie viereinhalb Jahre unter kommunister Herrschaft in einer schmalen Gefängniszelle. Zur Zeit des Ungarnaufstandes 1956 war sie Vizepräsidentin der Regierung geworden und entkam nur dank dem Umstand, dass sie während des russischen Einmarsches in Wien weilte und dort über das Los der Flüchtlinge aus ihrer Heimat verhandelte. Sie leitete in den folgenden Jahren die ungarische Exilregierung und versuchte, in der UNO das Los ihrer Landsleute zu verbessern. Dank seiner besonderen Verbindungen war es Gottfried Beyeler gelungen, die berühmte Frau zu einem Besuch einzuladen und für ein Referat an einer Versammlung der Sektionen des Amtsverbandes Interlaken zu gewinnen. Sie sprach über das Schicksal Ungarns und über ihren eigenen lebenslangen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Zur Erinnerung an die ausserordentlich beeindruckende Begegnung wurde daraufhin im Protokoll der Frauengruppe ein umfangreicher Zeitungsartikel über die berühmte Frau eingeklebt.

Am 22.Januar 1959 ging es an einer öffentlichen Versammlung im Drei Schweizer wieder einmal um die Einführung des allgemeinen Stimm- und Wahlrechts für die Frauen. Eingeladen hatten die verschiedenen Frauenorganisationen gemeinsam, und die politischen Parteien machten mit. Der angefragte Gegenreferent, der spätere Regierungsrat Dr.Hans Tschumi, wollte aber nur als erster Diskussionsredner auftreten. Am Schluss der Versammlung erhielten die zwei offiziellen Referentinnen, die beide für die Annahme der zur Abstimmung kommenden eidgenössischen Vorlage eingetreten waren, zum Dank je einen Blumenstrauss. Obwohl es sonst üblich war, bei gemeinsamen Anlässen die Kosten zu teilen, weigerte sich die damals noch als Gegner auftretende SVP in standhafter Kleinkrämerei, ihren geringen Anteil zu übernehmen. Als nach langem Kampf das Eis endlich gebrochen war und im Kanton Bern als Anfang jede Einwohnergemeinde den Frauen das Stimmrecht geben konnte, war die Gemeindeversammlung Unterseen eine der ersten, die dies beschloss. Im Protokoll der Frauengruppe ist gross und mit rotem Filzstift eingetragen:

„29.Juli 1968, 1.Gemeindeversammlung mit Mitspracherecht der Frauen."

Man sieht daraus, welch emotionale Bedeutung dieser Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau für die Betroffenen hatte. Und am 17.Oktober 1968 wurde stolz festgehalten:

„Gemeindewahlen vom 1.Dez.1968. Erstmals gehen wir Frauen an die Urne. Jetzt beginnt die grosse Vorarbeit. Am 23.Oktober ist der erste von drei Vorträgen: Unsere Gemeinde, eine lebendige Demokratie. Es werden Einladungen gedruckt, die unsere Frauen alle persönlich weitergeben sollen. Wir sollen 2 Frauen in die Vormund-schaft-, 2 in die Fürsorge- und 2 in die Schulkommission aufstellen. Auch eine Gemeinderätin wird aufgestellt. Aber im Moment haben wir noch keine entdeckt."

Während SP-Frauen in den Kommissionen seit 1921 mitarbeiteten, sollte es noch viele Jahre dauern, bis 1996 mit Vreni Linder-Hofstettler erstmals eine auf der SP-Liste kandidierende Frau in den Gemeinderat nachrücken konnte und in der kommenden Legislatur wiedergewählt wurde. Die vor allem zur Erkämpfung des Frauenstimm- und Wahlrechtes gegründete Sozialdemokratische Frauengruppe Unterseen wurde an ihrer Hauptversammlung vom 6.März 1985 aufgelöst, und ihre Mitglieder traten wieder in globo in die Gesamtpartei über. Auf diese Weise konnten unnötige Doppelspurigkeiten vermieden und ein weiteres, kleines Stück voller Gleichstellung wenigstens innerhalb der Partei erreicht werden.