Titelseite

Übersicht

Ein Vorwort

Zur Einführung

Über die Arbeiterbewegung

Auf dem Weg zu einer sozialen Schweiz

Zur Entwicklung der SP im Kanton Bern

Aus der Geschichte der SPU

Der Allgemeine Arbeiterverein Unterseen

Erster Arbeiterverein

Reaktivierung zum zweiten Arbeiterverein

Die sozialdemokratische Partei Unterseen

Namensänderung am 1. Mai 1918

Parteiorganisatorisches

Politisches Wirken in der ersten Nachkriegszeit

Streitpunkte, Stellungnahmen, Entwicklungen

Gleichberechtigung der Frauen

Gemeindewahlen

Schlussbemerkungen

Verzeichnisse

SPU - Parteipräsidenten und Parteisekretäre

SPU-Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte

SPU-Mitglieder im Bernischen Grossen Rat

Benutzte Quellen und Publikationen

Schlussbemerkungen

Die Arbeiterbewegung führte in Unterseen über verschiedene Entwicklungsstationen. Der erste, im Jahr 1899 gegründete Arbeiterverein war als Ort der Begegnung und der gegenseitigen Unterstützung gedacht, er sollte als Organisation im Kampf um wirtschaftliche Besserstellung und gesellschaftliche Anerkennung dienen.

Die Zeit des ersten Weltkrieges mit der Verarmung der unteren Volksschichten führte zum Aufbruch im Generalstreik 1918 und damit zur Beteiligung der Minderheiten im Staatswesen, zu Proporzwahlen in Bund, Staat und Gemeinde. In Unterseen bildete daraufhin die SP zusammen mit den Grütlianern von 1920 an während acht Jahren eine mit innern Spannungen belastete Mehrheit.

In der Zwischenkriegszeit mit dem Krisenelend liess sich unsere Arbeiterbewegung nicht verlocken und bestand im Kampf gegen den Nationalsozialismus und den Faschismus eine grosse Bewährungsprobe. Die Auseinandersetzungen gegen die „Fröntler" wurden auf dem Bödeli öfters sogar mit persönlichem Risiko geführt.

Die Not im zweiten Weltkrieg stärkte das Gemeinschaftsgefühl und damit den Willen zum Aufbau einer sozialeren Schweiz. Nach früheren vergeblichen Anläufen wurde 1947 die AHV und die IV eingeführt. Auch in Unterseen geschah ein grosser Aufbruch.

Während die Arbeiterbewegung in der ersten Hälfte ihres hundertjährigen Bestehens vor allem für ihre Anerkennung kämpfte und zur Mitarbeit im Gemeinwesen drängte, trug die SPU in der zweiten Hälfte die Hauptverantwortung für die Gemeinde. Das einst arme „Stedtli" erlebte unter sozialdemokratischer Führung eine erfreuliche Entwicklung, die in weiten Kreisen Anerkennung fand. Der Kampf um eine Besserstellung der mit ihrer Altstadt und den entsprechenden Wohnverhältnissen schwer belasteten Gemeinde führte an zwei entscheidenden Marchsteinen vorbei. Die erste, grundlegende Änderung wurde durch das Steuergesetz vom 1918 bewirkt, als die Steuern nicht mehr am Arbeitsort, sondern neu am Wohnort zu entrichten waren. In Unterseen mit seinem grossen Anteil an Leuten, die auswärts, zum Teil in Interlaken in der Hotellerie, ihrem Erwerb nachgehen mussten, wirkte sich die Neuregelung günstig aus.

Als zweite, entscheidende Wende ist der Kampf um den Finanzausgleich unter den Gemeinden zu nennen. Er machte 1954 in Unterseen eine merkbare Steuersenkung möglich, sodass unsere Gemeinde in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wegen ihres Wohngebietes auch von gutsituierten Leuten entdeckt und nicht mehr der hohen Steuern wegen gemieden wurde. Obwohl sich diese Veränderung im Laufe der Jahre örtlich gegen unsere Partei auswirken musste, hinderte dies die SPU nicht, entschieden dafür einzutreten. Daneben brachte die Neuordnung des Fürsorgewesens, welches den kantonalen Lastenausgleich und damit das Ende des unwürdigen Abschiebens der Armen in andere Gemeinden bedeutete, neben der Entlastung der Gemeinde für die direkt Betroffenen mehr Menschlichkeit. Das nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende wirtschaftliche Wachstum mit den vielen technischen Neuerungen führte zu einem andern Lebensgefühl der Menschen. In der dadurch veränderten Gesellschaft suchen die politischen Parteien neue Wege, um den Wandel aus ihrer Sicht und in ihrem Sinn zu beeinflussen. Das Ziel, für allgemein gute Existenzverhältnisse sorgen zu helfen, bleibt aber unverändert.

 

Die Parteien sind mit diesem Wandel in Gemeinde und Staat eng verbunden. Für die SPU führten die hundert Jahre Streben nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Anerkennung über Höhen und Tiefen, über Erfolge und Enttäuschungen. Die Kraft der Arbeiterbewegung hing und hängt aber immer vom Willen und Einsatz einzelner Menschen ab, die für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft eintreten. Doch sind die Zeiten vorbei, in denen der Briefträger auf seiner Tour den alten Leuten beim Ausfüllen der Stimm- und Wahlzettel half und am Abend mit den Jungen turnte und sie für die SP warb. Die Aufgabe der Parteifunktionäre ist im Zeitalter der Genussgesellschaft und der Massenmedien nicht leichter geworden. Die Zahl derer, die bereit sind, in den Behörden mitzuarbeiten und sich entsprechend zu exponieren, ist kleiner geworden. Dazu braucht es im täglichen politischen Kampf nach wie vor grosse Standfestigkeit, starke Überzeugungskraft und viel Mut.

 

In der ersten Hälfte des Jahrhunderts waren im engeren Oberland die aus Grindelwald stammenden und in Interlaken wirkenden Hans Roth und seine Frau Elisabeth Roth-Bernet Leitfiguren in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Beide verfügten über ein solides weltanschauliches Fundament und viel persönliche Ausstrahlung, und beide engagierten sich für die Arbeiter- respektive Frauenbildung. Hans Roth hielt als Nationalrat viele welt- und europapolitische Vorträge und konnte seinen Beruf als Geschichtslehrer an der Sekundarschule nicht verleugnen. So sprach er bei uns an der Parteiversammlung vom 2.Juni 1951 zum Thema „Vereinigte Staaten von Europa". Der Sekretär kommentierte damals etwas unbeholfen: „Weit in die Vergangenheit greifen seine Daten zurück, und bis in die heutige Zeit, mit all den Wirren und Wandlungen, die Europa zu durchschreiten hatte und stets noch vor den Toren des Friedens steht, wenn nicht die breite Volksschicht der Arbeitenden gemeinsam sich zum Zusammenschluss und zur Einigkeit findet."

Am 7.März 1958 sprach Hans Roth an einer gemeinsamen Veranstaltung der beiden Frauengruppen von Interlaken und Unterseen über „Christentum und Sozialismus". Die Protokollführerin schrieb darüber: „Das Christentum besteht aus zwei Hauptteilen, die soziale Botschaft und die Kirche mit dem Glauben an das Leben nach dem Tod. Unsere Partei ist in diesem Glauben neutral. Das Christentum und der Sozialismus sind bisher die stärksten Kräfte, welche die Gerechtigkeit unter den Menschen verfechten. Keine anderen Lehren wurden so geschändet wie das Christentum und der Sozialismus. Warum sind wir zur sozialistischen Partei gegangen? Weil sie Gerechtigkeit sucht. Wir sollen uns ein hohes, ideales Ziel setzen, das für Jahrhunderte gilt: Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt, Menschenwürde, Frieden."

Vieles bleibt noch zu tun, um die für alle geltenden Menschenrechte weltweit durchzusetzen. Meist muss der Kampf gegen wirtschaftliche Ausbeutung, gegen privilegierte Oberschichten oder gegen religiös verbrähmte Traditionen geführt werden. Er wird besonders hart, wenn egoistische Machterhaltung oder sogar Kriminalität mit im Spiele sind. Ein nachhaltiger Erfolg kann dabei nur erreicht werden, wenn in allen Ländern mit allgemeiner Volksbildung mehr Toleranz und gegenseitige Achtung erreicht werden kann. Im Vertrauen darauf, dass sich immer wieder junge Menschen für die sozialdemokratischen Ideale begeistern lassen und das menschliche Zusammenleben danach ordnen helfen, soll in Unterseen das zweite Jahrhundert der Arbeiterbewegung und auf der ganzen Welt das dritte Jahrtausend für alle zu menschenwürdigen Lebensverhältnissen führen.

 

Wir geben das Streben nach einer gerechteren Weltordnung nicht auf. Aus den in der Arbeiterbewegung gemachten Erfahrungen wissen wir aber, dass allgemeine Verbesserungen oft im Gegensatz zu Sonderinteressen stehen und deshalb meist hart und in kleinen Schritten politisch erkämpft werden müssen. In diesen Auseinandersetzungen haben sich die daran Beteiligten in der Vergangenheit oft mit Kampfliedern gegenseitig Mut gemacht. Eines davon, das als Volkslied ursprünglich von den Wanderburschen gesungen wurde, fand sogar Eingang in die Singbücher unserer Schulen. Wir haben es oft gesungen, und es wird für uns auch in der Zukunft gelten:

 

Wann wir schreiten Seit' an Seit'

und die alten Lieder singen,

und die Wälder widerklingen,

fühlen wir, es muss gelingen:

Mit uns zieht die neue Zeit,

mit uns zieht die neue Zeit!