Titelseite

Übersicht

Ein Vorwort

Zur Einführung

Über die Arbeiterbewegung

Auf dem Weg zu einer sozialen Schweiz

Zur Entwicklung der SP im Kanton Bern

Aus der Geschichte der SPU

Der Allgemeine Arbeiterverein Unterseen

Erster Arbeiterverein

Reaktivierung zum zweiten Arbeiterverein

Die sozialdemokratische Partei Unterseen

Namensänderung am 1. Mai 1918

Parteiorganisatorisches

Politisches Wirken in der ersten Nachkriegszeit

Streitpunkte, Stellungnahmen, Entwicklungen

Gleichberechtigung der Frauen

Gemeindewahlen

Schlussbemerkungen

Verzeichnisse

SPU - Parteipräsidenten und Parteisekretäre

SPU-Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte

SPU-Mitglieder im Bernischen Grossen Rat

Benutzte Quellen und Publikationen

Streitpunkte, Stellungnahmen, Entwicklungen

Fusion Interlaken-Matten-Unterseen?

Unter der alten Steuergesetzgebung, nach der Steuern am Arbeitsort entrichtet werden mussten, war Unterseen neben Interlaken, das sich zum Zentrum der Hotellerie entwickelt hatte, eindeutig benachteiligt. Deshalb unterstützte eine Versammlung sämtlicher Behörden und Kommissionen schon am 13.Juli 1913 „die Schritte, welche der Einwohnergemeinderat von Unterseen bereits getan hat, um eine Verschmelzung der beiden Gemeinden herbeizuführen." Sie hoffte, „bei der Gemeinde Interlaken ein loyales und freundnachbarliches Entgegenkommen zu finden." Ein neues Steuergesetz von 1918, nach dem Steuern am Wohnort zu entrichten waren, verbesserte die Situation zu einem Teil.

Am 13.Februar 1925 befasste sich die Parteiversammlung der SPU erstmals mit der Frage der Fusion der Gemeinden Interlaken und Unterseen. Nach der Mitteilung, „dass am 6.Februar im alten Schulhaus von Freunden der Fusion eine Versammlung einberufen worden sei zur Sammlung von Unterschriften für eine ausserordentliche Gemeindeversammlung", erörterte man die Vor- und Nachteile einer Fusion, und Grossrat Jossi setzte „in längeren Ausführungen die parteipolitischen Nachteile auseinander" und betonte, „dass bei einer Fusion viele Mitglieder der Partei den Rücken kehren würden. Er hält eine Fusion für unklug." Gemeinderat Beuggert teilte mit, „dass schon im Jahre 1917 eine Konferenz von Vertretern der Gemeinden Interlaken, Unterseen und Matten zur Fusion Stellung genommen habe und betont, dass sich damals die Vertreter der Anschlussgemeinden trotz Einverständnisses sehr zurückhaltend benommen hätten und die Verhandlungen an der Burgergemeindefrage zerschellt seien." Im Verschiedenen „sprechen sich mehrere Genossen zur Nichtunterzeichnung der Unterschriftenlisten aus, doch wird hierüber kein Beschluss gefasst." Am 19.März 1925 diskutierte die SP-Parteiversammlung nach einem Referat über Erfahrungen mit Gemeindeanschlüssen in Bern und Biel wiederum über die Vor- und Nachteile einer Fusion. Grossrat Jossi bemerkte, „dass die heutigen Bestrebungen von Leuten herrühren, denen speziell die starke soz. Vertretung in der Behörde ein Dorn im Auge sei. Dass der Grütliverein für Fusion sei, verwundere ihn nicht, da derselbe ein Wiederaufblühen seiner Sache erhoffe." In der Abstimmung wurde beschlossen, dass die Partei prinzipiell für die Fusion eintreten sollte. Der beigezogene Referent zog seinerseits aus der Diskussion den Schluss, „dass bei einer Fusion Interlaken mit seiner Hotellerie in Strassenbauten etc. die grössten Ansprüche stellen würde." Am 26.November 1926 wurde mitgeteilt, dass der Grosse Gemeinderat von Interlaken eine Fusion abgelehnt habe.

Am Ende des zweiten Weltkrieges wurde das Thema Fusion erneut aufgegriffen. Am 22.November 1945 schrieb der mehrheitlich sozialdemokratische Gemeinderat Unterseen nach Interlaken, ob die Gemeinde dort grundsätzlich bereits wäre, auf die Frage einer Fusion einzutreten. In der Antwort vom 11.Februar 1946 wurde festgehalten, dass eine Volksbefragung in dieser Sache nicht erfolgt sei, dass aber bei den grossen Unterschieden in der Steuerbelastung in den Gemeinden Interlaken, Matten und Unterseen ein Ausgleich geschaffen werden müsste, woraus sich für Interlaken neue Lasten ergeben würden. Da die Gemeinde Interlaken vor andern grossen Aufgaben stehe und in erster Linie der Kurort ausgebaut werden müsse, damit er internationalen Ansprüchen genüge, erscheine eine Fusion mit den sich daraus ergebenden grossen wirtschaftlichen Aufgaben nicht tragbar. Diese Antwort gab das Signal zum Kampf um den Finanzausgleich unter den Gemeinden auf kantonaler Ebene, der von Unterseen aus massgeblich geführt und beeinflusst wurde.

In den 60-er-Jahren entstand die sogenannte „Aktion 3800", das Fusionsthema wurde wiederbelebt und im Jahr 1972 intensiv in der Presse behandelt. Damals entstand die Einsicht, dass sich mit einer Fusion der drei Gemeinden Interlaken, Matten und Unterseen die anstehenden Probleme nicht allgemein lösen lassen. Die gemeindeübergreifenden Aufgaben, an denen zum Teil auch die am Rande des Bödelis liegenden Orte in jeweils unterschiedlichem Masse interessiert sind, müssten problemorientiert angegangen werden. Gegenwärtig diskutiert die nächste Generation über das alte Thema.

 

Auflösung des Grütlivereins, Übertritte in die SP

Die Grütlianer vermochten ihren Mitgliederschwund mit der Fusionsdiskussion nicht mehr aufzuhalten. Am 2.Dezember 1925 kam die SP-Versammlung „auf die bevorstehende Auflösung des Grütli-Vereins zu sprechen. Die Mitglieder wurden ersucht, mit beleidigenden Ausdrükken sehr zurückhaltend zu sein." Und am 12.Dezember 1925 konnte die Parteiversammlung zu Kenntnis nehmen, dass der Grütliverein beschlossen habe, zur SP überzutreten, „immerhin mit dem Vorbehalt, dass alle ohne Ausnahme aufgenommen werden". An der Hauptversammlung vom 16.Januar 1926 wurde in diesem Zusammenhang hingewiesen auf „die mächtigen Anstrengungen der freisinnigen Partei, um Arbeiter für ihre Sache zu gewinnen." Doch am 25.Februar 1926 wurde einstimmig beschlossen, alle 22 Mitglieder des Grütlivereins aufzunehmen, welche den Übertritt zur SP-Sektion Unterseen erklärten. Es waren dies 10 Gaswerkarbeiter, 3 Bahnarbeiter, 2 Gemeindearbeiter, 2 Elektriker und 5 Einzelne aus anderen Berufen. Einer der Übertretenden war der Elektriker Albert Wägeli, Leiter der Installationsabteilung der Licht- und Wasserwerke Interlaken, der als Sekretär der Arbeiterunion amtete und ein Grossratsmandat innehielt.

Mit dieser Parteifusion begann für die SPU eine Zeit der inneren Auseinandersetzungen. Grossrat und Amtsverbandspräsident Jossi hatte sich schon am 5.Juni 1925 über eine Verleumdung durch seinen Kollegen Wägeli in der Grossratsfraktion in Bern beklagt, worauf die Partei Unterseen ein Schreiben an die kantonale SP-Parteileitung beschloss, „mit dem Begehren, Wägeli sei aus der Grossratsfraktion auszuschliessen." Ein entsprechendes Schreiben wurde aber nicht abgesandt. Aus dieser Sache entstand ein unerfreulicher Streit innerhalb der Partei, in dem sich die beiden Grossräte hart bekämpften. In der Tagwacht erschien dazu im September 1926 ein Bericht aus Unterseen:

„Zu Beginn dieses Jahres wurde in hier, wie seinerzeit auch in der Nachbargemeinde Interlaken, die Grütlisektion Unterseen liquidiert, wovon sich 22 Mitglieder zum Übertritt zur Sozialdemokratischen Partei anmeldeten und auch ohne weiteres in dieselbe aufgenommen wurden. Man war damals allgemein der Ansicht, dass, nachdem der ehemalige Grütliverein vor seiner Liquidation der Partei alle erdenklichen Schwierigkeiten, besonders bei Wahlen, bereitete, sich dieselben und speziell ihre Vertreter in den Behörden einigermassen der vorherrschenden politischen Richtung der Partei und ihrer Vertreter anlehnen würden; aber weit gefehlt, es wurde weiter gedienert und der Nacken eingezogen vor den Bürgerlichen, trotzdem wir die Mehrheit im Gemeinderat besitzen.

In Anbetracht dieser etwas gespannten Situation zwischen den verschiedenen Behördemitgliedern kam es dann an der letzten Parteiversammlung zu einer heftigen Auseinandersetzung, welche zur Folge hatte, dass es hinterher einige „Tubelgrinde" gab. Das wäre nun insofern kein grosses Unglück, denn mit der Zeit hätte sich auch diese Hitzewelle abgekühlt. Der Gipfel ist nun das von einem ehemaligen Grütlianer und heutigen Parteimitglied lancierte „Eingesandt" im „Oberländischen Volksblatt" von Interlaken, welches folgendermassen lautet:

‚Stimmen aus dem Publikum (Ohne Verantwortlichkeit der Redaktion):

Unterseen. Die politischen Wellen in unserem Städtchen gehen gegenwärtig sehr hoch. Mit der angebahnten Fusionierung der drei Bödeligemeinden macht man sich je länger je mehr vertraut. Jedoch scheint gerade in der Sozialdemokratischen Partei die Ruhe vor dem Sturm zu herrschen. Wie wir vernehmen, sind einzelnen führenden Parteihäuptern einige Mitglieder des früheren Grütlivereins nicht sehr genehm, weil sie sich einer Diktatur nach russischem Muster nicht beugen wollen. Aus diesem Grunde dürfte es in der Partei zu einer Klärung kommen, in der Weise, dass der grösste Teil der früheren Grütlianer aus der Partei austreten und parteilos bleiben

wird. (!!!)'

Dazu ist allerdings jeder Kommentar überflüssig, denn die Herren bezeugen mit diesem Eingesandt ihre politische Qualifikation von selbst."

Als Verfasser der Einsendung im „Volksblatt" wurde ein Berufskollege Wägelis ermittelt. Ihm wurde empfohlen, aus der Partei auszutreten, um einem Ausschluss zuvorzukommen. Viele Mitglieder blieben nach diesen Auseinandersetzungen den Versammlungen fern; an der Hauptversammlung vom 18.Dezember 1926 nahmen noch 14 Mann teil bei „ungefähr 70 zahlenden Mitgliedern".

1.Mai - Umzug mit Referat, dazu Abendfeier

Im Jahr 1927 ist erstmals neben dem 1.Maiumzug eine besondere Abendfeier erwähnt. Am 29.April 1927 wurde mitgeteilt: „Auch dieses Jahr soll eine Maifeier durchgeführt werden. Die Organisation wird von der Arbeiterunion übernommen. Zur Teilnahme am Umzug und an der Abendfeier werden die Genossen aufgefordert." Der Vorstand der Arbeiterunion Interlaken und Umgebung erliess an die Sektionen den Aufruf (leicht gekürzt):

„Werte Genossen!

Wiederum ist unser Weltfeiertag, der 1.Mai, in die Nähe gerückt, und es wird im ganzen Land fieberhaft daraufhin gearbeitet, gilt es doch am ersten Mai gegen einen gemeinsamen Feind zu demonstrieren. Es ist deshalb auch unsere Pflicht, auf dem Platz Interlaken alles aufzubieten, um am proletarischen Weltfeiertag unsern Gegnern die Wachsamkeit, Tatkraft und Solidarität der organisierten Arbeiterschaft kundzutun. ... Das kann aber nur geschehen, wenn es sich ein jeder zur Ehrenpflicht macht, ausser sich selbst auch die Wankelmütigen zur Teilnahme an der Maifeier aufzurütteln. Werte Genossen, wir hoffen bestimmt, auch Ihr werdet eure Pflicht gegenüber der Organisation erfüllen."

Der Demonstrationszug besammelte sich um 1.30 Uhr beim Restaurant Eintracht in Interlaken, marschierte dann um 2.00 Uhr auf der Route Centralstrasse - Jungfraustrasse - Marktgasse Interlaken auf den Stadthausplatz in Unterseen, um sich hier ein Referat von Fritz Adler, dem Sekretär der Internationalen in Zürich, anzuhören. Anschliessend kehrte der Umzug in einer zweiten Runde auf der Hauptstrasse und der Bahnhofstrasse durch Unterseen und über die Bahnhofstrasse und die Marktgasse Interlaken zur Eintracht zurück. Bei ungünstiger Witterung sollte das Referat im heute verschwundenen Adlersaal an der Harderstrasse in Interlaken stattfinden.

Die Abendfeier begann um 8.00 Uhr in den Drei Schweizern mit einem Liedervortrag des Männerchors Eintracht und setzte sich mit einer Filmvorführung über das Arbeiter-Turn- und Sportfest in Bern und mit einer Festmusik fort und mündete in einen gemütlichen zweiten Teil mit Tanz aus. Zur Unterstützung der Brienzer Schnitzler-Genossenschaft wurde nebenbei eine Tombola veranstaltet. Eintritt zur Abendfeier 50 Rp., für Männer war zudem der Maibändel obligatorisch.

In der Krisenzeit der Dreissigerjahre galten die vom Bildungsausschuss vorbereiteten 1.Mai-Abendfeiern als Höhepunkte der Parteitätigkeit. Weder Radio- noch Fernsehkonkurrenz hielten vom Besuch ab. Das Programm 1931 umfasste unter Mitwirkung aller Kultur- und Sportorganisationen der Arbeiterschaft im Ganzen 25 verschiedene Auftritte. Das Oberländische Volksblatt" berichtete darüber:

Schon vor 8 Uhr war der Adlersaal zur Abendfeier voll gedrängt. Dicht eingeengt mussten weit über hundert Personen beim Ausgang stehend verharren, und sie blieben und blieben, bis die Aufführung zu Ende war; das allein sagt wohl genug über die Abendfeier. Der rührige Bildungsausschuss hat eine Leistung vollbracht, die sich auch in grösseren Ortschaften sehen lassen dürfte. Was geboten wurde an Gesang, Deklamationen, turnerischen Übungen, Reigen, Sprechchören usw. war gut vorbereitet und erntete reichen, wohlverdienten Beifall. Tiefen Eindruck hinterliess „der Vorbeimarsch der Arbeitslosen", lauten Jubel ernteten die turnerischen Leistungen der Buben und Mädchen, besonders erwähnt sei noch die formvollendet und aus innerster Anteilnahme vorgetragene Dichtung durch Frl.Roth, Lehrerin. Ein buntes Schlussbild vereinigte die Darbietenden unter den roten Fahnen. - Während sämtlichen Darbietungen lauschte die gewaltige Menschenmenge mäuschenstill. Solche Disziplin ehrt die Arbeiterschaft.

Kommunistische Abspaltung

Die SPU war bestrebt, sich in der Bevölkerung zu verankern. Am 29.April 1927 wurde für eine nächste Versammlung als zeitgemässes Thema „Bauer und Arbeiter" vorgeschlagen, „wofür Nationalrat Roth in Interlaken schon zu haben wäre." Die Sozialdemokratische Partei trat für eine Besserstellung der öffentlich Angestellten ein und befürwortete einen im eidgenössischen Parlament mühsam erreichten Kompromiss zu einem Besoldungsgesetz. Die Kommunistische Partei der Schweiz aber sammelte Unterschriften für ein Referendum dagegen, obschon sie vorher bei der Ausarbeitung der Vorlage zugestimmt hatte. Nationalrat Reinhard aus Bern hielt deshalb im Auftrag der Arbeiterunion Interlaken und des Amtsverbandes am 1.September 1927 vor etwa 150 Zuhörern im Drei Schweizer ein Referat „in urchigem Berndeutsch", und berichtete,

„wie die eidgenössischen Räte und der Föderativverband in jahrelanger Arbeit endlich ein Besoldungsgesetz zustande gebracht haben, das dem eidgenössischen Personal das gibt, was ihm gehört. Nun stehe aber die Arbeiterschaft gegeneinander in Fehde. Auch hier im Oberland seien Unterschriftenbogen in Zirkulation, man möge sich aber hüten, das Referendum zu unterstützen. Wenn das Referendum zustande komme und das Gesetz in der Abstimmung falle, so werde dann der Lohnabbau kommen, und zwar auch für die in den privaten Betrieben tätigen Arbeiter. Zur Unterschriftensammlung hätten sich auch Parteimitglieder hergegeben, die damit dem Kapital Schlepperdienste verrichteten."

Obwohl zum Teil bekannt war, wer aus der SPU Unterschriften gesammelt und wer unterschrieben hatte, meldete sich in der Diskussionsrunde trotz Aufforderung niemand kontradiktorisch zum Wort; der Parteipräsident nannte darauf bei Versammlungsschluss öffentlich ihre Namen. Aus diesem Vorgehen entstand neuer Streit in der Sektion. Am 16.September 1927 fand zur gegenseitigen Aussprache eine ausserordentliche Parteiversammlung statt, bei deren Einberufung begründet wurde:

„Die Unterschriftensammlung fürs Referendum hat böses Blut gemacht. Wir hoffen, den Zwischenfall nochmals in aller Sachlichkeit zu besprechen, um den Weg zur Schlichtung des Streites zu finden. ... Oder soll man über uns lachen, wenn wir unsere Kraft und Zeit zur Hauptsache für persönliche Nörgeleien verlieren?"

An der Versammlung wurde als einer der Gründe zur Unterzeichnung des Referendums das im Gesetz festgeschriebene Streikverbot für die von der Öffentlichkeit Angestellten angeführt. Man sei doch im Generalstreik für ein allgemeines Streikrecht eingetreten. Von den Unterzeichnern des Referendums wurde schliesslich erwartet, dass sie ihre Unterschrift zurückzögen, und den Sammlern wurde die Frage gestellt, ob sie gewillt seien, die Unterschriftenbogen zurückzuhalten und zu vernichten. Sie verlangten Bedenkzeit und lehnten später ab. An der folgenden Vorstandsitzung vom 21.September beharrten die vorgeladenen Initiativfreunde auf ihrem Standpunkt und verlangten die Streichung ihrer Namen aus der Mitgliederliste der Sozialdemokratischen Partei.

Am 28.September fand eine Fraktionssitzung statt, an der die Unterschriftensammlung zum Referendum gegen das Besoldungsgesetz zur Sprache kam. Trotz der Parteiparole, das kommunistische Referendum zu bekämpfen, habe sich ein Genosse erlaubt, mit einer solchen Liste zu hausieren. Es sei ihm auch gelungen, einige Genossen zur Unterschrift zu bewegen. Die anwesenden Behördemitglieder vertraten die Meinung, „dass zu Handen der nächsten Parteiversammlung der Antrag gestellt werde, diejenigen Genossen, welche ihre Unterschrift zum Referendum gegeben haben, auszuschliessen." An der folgenden Parteiversammlung vom 14.Oktober 1927 wurde das Resultat der Vorbesprechungen bekanntgegeben und die inzwischen angekündigten Austritte der Referendumsunterzeichner genehmigt.

Die am 17.Dezember 1927 stattfindende Hauptversammlung wurde als die 13. bezeichnet. Abergläubische könnten sagen, dass deswegen die Spaltung der Arbeiterschaft eingetreten sei und dieses Jahr für die SPU eben ein Unglücksjahr war. Nach dieser Numeration waren die damaligen SP-Leute der Meinung, die SPU sei im Jahre 1914 mit der Gründung des zweiten Arbeitervereins entstanden. Nach dem erstatteten Jahresbericht fanden in diesem Jahr 1927 im Ganzen 9 Parteiversammlungen, 7 Vorstandssitzungen,

1 öffentlicher Vortrag und 2 Fraktionssitzungen statt. „Ebenso wurde eine Werbewoche durchgeführt; der Erfolg aber war ein negativer", was bei den grossen Turbulenzen um das Besoldungsreferendum der Kommunisten nicht verwundert. Am 5.Januar 1929 gab der Präsident an einer Vorstandssitzung bekannt, dass „mit den Kommunisten zu gegebener Zeit verhandelt werden soll, um sie wieder für die Partei zu gewinnen."

Die politischen Spannungen wurden durch die erneut wachsende Wirtschaftskrise weiter verschärft. Der Jahresbericht 1931 berichtet:

„An einer vor den Nationalratswahlen von den drei Sektionen Interlaken, Matten und Unterseen einberufenen öffentlichen Versammlung hatten wir Gelegenheit, bei vollbesetztem Adlersaal unsern verdienten Genossen Grimm, Kantonalpräsident, zu hören, wie er das Wirtschaftschaos, das gegenwärtig herrscht, von unserem Standpunkt aus zu lösen im Stande war."

Das Arbeitslosenproblem blieb; in Unterseen bildete sich in der Folge eine kommunistische Partei. Am 4.Februar 1932 fand eine Arbeitslosenversammlung im alten Schulhaus statt, an welcher kommunistische und sozialdemokratische Exponenten über die Hilfsmöglichkeiten diskutierten und aneinander gerieten. An der Fraktionssitzung am folgenden Tag, am 5.Februar 1932, wurde bekannt, dass beim Gemeinderat eine separate Liste von 12 kommunistisch orientierten Arbeitslosen eingereicht worden sei. Damit war die Uneinigkeit der Arbeiterschaft ein weiteres Mal manifest, worauf von SP-Seite ein Zeitungsartikel erschien unter dem Titel „Kommunisten und Bürgerliche Arm in Arm" mit der Feststellung:

„Die Kommunistische Partei Unterseen hat ihren unzähligen Versuchen, doch noch einmal aus der Bedeutungslosigkeit herauszukommen, einen neuen angereiht, der neuerdings beweist, wie diesen unverantwortlichen Elementen auch das Bürgertum recht ist, wenn es gegen die Sozialdemokraten geht."

Die Kommunisten vermochten trotz der herrschenden Wirtschaftskrise in den Proporzwahlen aber nie einen Sitz in den Behörden zu erringen.

Regierungsbeteiligung?

Am 23.Februar 1928 befasste sich die Parteiversammlung mit einer Beteiligung der SP in der Berner Regierung.

„Die bürgerlichen Parteien sind, wie Mitteilungen aus der Presse lauten, nicht dagegen, der Linkspartei einen evtl. zwei Sitze in der Regierung einzuräumen. Sie behalten sich jedoch vor, vorerst vernehmen zu wollen, was für Nominationen aufgestellt werden. Die soz.dem.Partei des Kantons Bern lässt sich aber keine Vorschriften machen, welche Kandidaten sie hiefür aufstellten. Nachdem nun bekannt geworden ist, dass als Kandidaten Robert Grimm, Nationalrat in Bern und Grospierre Achilles aufgestellt wurden, haben nun die Freisinnige Partei wie die Bauern- und Bürgerpartei diese Kandidaten, speziell den Revolutionär Grimm, nicht acceptiert. Ein grosser Kampftag steht bevor."

In Unterseen wie im Amt Interlaken erhielten die beiden sozialdemokratischen Kandidaten deutlich mehr Stimmen als die beiden freisinnigen Gegenkandidaten; im ganzen Kanton gerechnet war es jedoch gerade umgekehrt.

Dasselbe Problem der Beteiligung an einer im Majorzsystem gewählten Regierung stellte sich auch auf Bundesebene, als die bürgerlich dominierte Bundesversammlung gleich zweimal - 1928 und 1938 - den von den SP-Vertretern vorgeschlagenen und hochqualifizierten Zürcher Stadtpräsidenten Emil Klöti durchfallen liess. Am 5.November 1929 sollte Nationalrat Hans Roth, Interlaken für und Grossrat Johann Jossi, Unterseen, gegen eine Beteiligung im Bundesrat referieren. Letzterer war krankheitshalber abwesend, sodass Hans Roth beide Standpunkte darlegte. Die Versammlung sprach sich mit

20 Stimmen bei 3 Enthaltungen für eine Bundesratsbeteiligung aus. Am 27.August 1947 berichtete der Delegierte vom kantonalen Parteitag, dass dort Samuel Brawand aus Grindelwald einhellig mit 375 Stimmen als Nachfolger des verstorbenen Genossen Reinhard in die bernische Regierung vorgeschlagen worden sei. Er wurde im folgenden Herbst vom Volk als erster Sozialdemokrat aus dem Oberland zum bernischen Regierungsrat gewählt.

Einzelne Gemeindeprobleme

Am 9.März 1923 wurde beschlossen, für die von der Gemeinde wegen der misslichen finanziellen Lage des Verkehrsvereins Interlaken notwendige Übernahme des Weissenausteges oder des Goldeysteges die Stimme freizugeben. Unterseen übernahm in der Folge den Weissenausteg, Interlaken den Goldeysteg zum Unterhalt.

Am 23.Oktober 1924 referierte Gemeinderat Beuggert über die Gemeinderechnung. „Das diesjährige Defizit beträgt Fr.1245.-; leider muss aber das alte Defizit von

Fr. 27'887.- immer noch mitgeschleppt werden. Das ist der Grund, warum die Gemeindekasse selten Geld hat. Man sollte ein Anleihen aufnehmen, um das Defizit einmal zu decken."

An der Fraktionssitzung vom 27.Juni 1930 wurde mitgeteilt, „dass wir auf die nächste Kirchgemeindeversammlung 2 Kandidaten bereithalten sollten, weil die Freisinnigen bereits 2 bereithalten. Ferrari Joseph, Lokomotivführer und Hirschi Ernst werden als unsere Kandidaten bestimmt. Die Vertrauensleute sollen am Samstag nachmittag und Sonntag morgen unsere Genossen zum Besuch der Kirchgemeindeversammlung aufrütteln."

Am 12.Juni 1931 fiel zur Gemeinderechnung „eine Bemerkung wegen der hohen Zinsenlast, welche Fr.89'000.- ausmacht, während die Steuereinnahmen nur Fr.220'000.- betragen."

Am 20.November 1931 wurden gleichzeitig 13 neue Mitglieder aufgenommen, dies wohl als Folge der schutzsuchenden Arbeiterschaft in der erneut aufziehenden Krisenzeit. Am 18.Dezember 1931 beschloss die Parteiversammlung, sowohl für die Errichtung einer Förderklasse wie für die Eröffnung einer fünften Sekundarschulklasse einzustehen. Die Gemeindeversammlung schluckte jedoch die beiden Geschäfte nicht beim ersten Anlauf.

Zum Überbrücken der immer wiederkehrenden innerparteilichen Auseinandersetzungen wegen Gemeindeproblemen veranstaltete die Partei Familien- und Unterhaltungsabende. Die Hauptversammlung vom 23.Januar 1932 wurde attraktiver als gewohnt gestaltet. Zu Beginn ertönte ein Eröffnungsmarsch, und

„nach dem allgemeinen Schlussgesang (Internationale) wird sofort zum zweiten Teil übergegangen. Einige Genossen formieren sich zu den nicht ganz unbekannten Vierergruppen, die andern haben genug zu tun, dem improvisierten Programm zu folgen, das neben musikalischen Nummern eine geradezu erstaunliche Auswahl von humoristischen Beiträgen (gelinde gesagt) aus allen Lebensgebieten zu Tage förderte. Als es drei Uhr schlug, begab sich eine noch ansehnliche Zahl von Genossinnen und Genossen nach Hause, wie man da und dort vernahm, mit dem Bewusstsein, wieder einmal einer gut gelungenen Veranstaltung der soz.dem.Partei beigewohnt zu haben. Möge sie zu den bevorstehenden Kämpfen ein gutes Symptom sein!"

Im Jahr 1933 lebten im Stedtli 82 oder mehr Arbeitslose. Sie waren aus bürgerlicher Sicht ein Übel. Im SP-Jahresbericht wurde gerügt:

„Viel zu sprechen gab eine vom Gemeindepräsidenten Flück im Sommer getroffene Verfügung, wonach das Stempeln der Arbeitslosen im Sommer verboten werden sollte. Begründet wurde dies durch die angeblich schöne Verdienstmöglichkeit beim Sammeln der Heidelbeeren und anderen Beerenarten. Diese ganze Affäre zeigte, mit welchen Mitteln unser erzreaktionäres Bürgertum jedes Mittel benutzt, um die Opfer einer kapitalistischen Gesellschaft noch mehr darben zu lassen. Unsern Vertretern im Gemeinderate sei an dieser Stelle für ihr energisches Eingreifen in dieser Sache der beste Dank ausgesprochen.

Ebenfalls haben heute die Arbeitslosen es dem Herrn Gemeindepräsidenten zu verdanken, dass sie nun alle Tage diesen schönen Gang aufs Gemeindebureau zum Stempelamt machen dürfen!"

Vom Schneider-Handel zur Parteikrise

Am 19.Oktober 1928 sprach sich die Parteiversammlung „über den Steuerskandal des Herrn Jakob Schneider und der Mühlen AG aus." Genosse Jossi referierte „in sehr sachlicher Weise über den Hergang dieser bis weit über die Grenzen hinaus Aufsehen erregende Steuerhinterziehung," die sich über die Jahre 1915 bis 1929 ereignet habe. Es gehe dabei um einen Gesamtbetrag an Staats- und Gemeindesteuern von ca. Fr.360'000.- . Ein Vergleichsvorschlag für eine Steuerabfindung mit Fr.24'000.- zwischen der Gemeinde und Herrn Schneider wurde von der Versammlung einstimmig abgelehnt. Am 1.Februar 1929 wurde erneut über den Steuerfall Schneider berichtet. Verhandlungen zwischen dem Gemeinderat und einem Treuhandbüro hätten zu einer neuen Offerte von Fr.28'000.- für einen Vergleich geführt. Der Gemeinderat habe diesem mit vier Stimmen bei vier Enthaltungen zugestimmt. Obwohl die Gemeindeversammlung vom 4.Februar die Anweisung gegeben hatte, einen Verwaltungsgerichtsentscheid abzuwarten und bei einem Vergleich nicht unter die Grenze von Fr. 40'000.- zu gehen, stimmte schliesslich der gesamte Gemeinderat einem Vergleichsvorschlag mit Fr. 30'000.- zu, und der entsprechende Vertrag wurde am 11.Februar gegenseitig unterzeichnet. Dieses Vorgehen wurde an der folgenden Parteiversammlung als eigenmächtig abgelehnt, doch am 27.März wurde wieder eingehend über den Vergleich referiert und mitgeteilt, dass der Gemeinderat ihn in eigener Kompetenz und Verantwortung abgeschlossen habe, worauf die Versammlung schliesslich mit 11 Stimmen und 18 Enthaltungen zustimmte. Am 12.April wurde jedoch an der Vorstandssitzung mitgeteilt, dass „der Entscheid der Gemeindeversammlung betreffend den Steuerfall Schneider für unsere Partei ernste Folgen nach sich ziehe."

Der Parteipräsident zog aus eigener Initiative Nationalrat Hans Roth aus Interlaken und den Kantonalpräsidenten Robert Grimm als Berater im parteiinternen Streit bei. Gleich zu Beginn der zur Schlichtung einberufenen Versammlung wurde der Rücktritt dreier SP-Gemeinderäte bekanntgegeben, worunter der spätere Gemeindepräsident Johann Wirth sogar seinen Austritt aus der Partei gab. Trotzdem stellte dieser die letzten Entwicklungen im Schneider-Handel dar. Nachdem der Staat bereits einen Vergleich abgeschlossen habe, liege nun das Prozessrisiko einzig bei der Gemeinde, was die SP-Vertreter im Gemeinderat entgegen der Gemeindeversammlungsbeschlüsse zur Zustimmung bei einer Vergleichssumme von Fr. 30'000.- bewogen habe. Nachdem von Einzelnen dieses Vorgehen als Kuhhandel missbilligt worden war, griffen die beiden Berater in die Diskussion ein und erklärten, dass ihr Ziel sei, den „Triumpf des Zusammenbruchs unserer Partei den Bürgerlichen nicht zu gönnen." Sie verlangten die Bildung eines Schiedsgerichtes und die Zurücknahme der Demissionen und Austritte. Diese Vorschläge wurden einstimmig gutgeheissen. Eine fünfköpfige Schiedskommission unter dem Vorsitz von Gerichtspräsident Otto Witz aus Bern und unter Mitwirkung von SP-Nationalrat Hans Roth aus Interlaken und drei Vertretern aus der Parteisektion Unterseen fällte mit dem Ziel, die bestehenden Zerwürfnisse „zum Wohle der Partei" zu klären, nach einer anderthalbtägigen Sitzung am 25.Mai 1929 den Schiedsspruch, dem sich alle unterzuordnen versprachen. Der Rücktritt der drei Parteivertreter im Gemeinderat wurde als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Die Kritik von

Grossrat und Parteipräsident Jossi wurde als materiell berechtigt, in der Form gegenüber Parteigenossen aber als zu weitgehend eingestuft. Zwei weiteren Amtsträgern wurde fehlerhaftes Verhalten angekreidet, bei den andern Parteimitgliedern wurden jedoch keine Handlungen ermittelt, die zu einer Rüge oder zu einer anderen Massregelung Anlass gaben. Das Schriftstück endet mit einer Auflistung der mutmasslichen Ursachen des Parteizerwürfnisses und mit Empfehlungen für „Wege der Parteisanierung." Die Parteiversammlung vom 8.Juni nahm zustimmend Kenntnis vom Schiedsspruch. In der Berner Tagwacht wurde unter dem Titel „zum Steuerfall Schneider in Unterseen" eine Einsendung publiziert:

„Die Sozialdemokratische Partei Unterseen nahm an ihrer Versammlung vom 8.Juni neuerdings Stellung zum Steuerfall Schneider und fasste dabei folgende Resolution: 1. Die Sozialdemokratische Partei Unterseen hat Kenntnis genommen von der unglaublichen Steuerhinterziehung des Herrn Mühlenbesitzers Schneider, der einst verantwortliches Mitglied der Gemeindebehörde von Unterseen und eine Stütze der bürgerlichen Gesellschaft war, und der nun durch Verlegung seines Vermögens ins Ausland Gemeinde und Staat um Hunderttausende von Franken geschädigt hat.

2. Die Sozialdemokratische Partei von Unterseen ist der Überzeugung, dass das Abkommen, das der Gemeinderat mit Herrn Schneider getroffen hat, rechtsungültig und daher hinfällig ist.

3. Diesen Standpunkt hat auch die grosse Mehrheit der letzten Gemeindeversammlung vertreten, indem sie dem Abkommen die Ratifikation versagte. Leider hat sie es unterlassen, dem Gemeinderat in dieser Sache neue, bindende Aufträge zu erteilen.

4. Die Sozialdemokratische Partei Unterseen beschliesst deshalb, sofort die Initiative zur Einberufung einer neuen ausserordentlichen Gemeindeversammlung zu ergreifen, die in der Angelegenheit Schneider endgültig Beschluss fassen soll."

Grossrat Jossi war bereit, die Initiative an der Gemeindeversammlung zu begründen, „doch sollen ihn die Genossen unterstützen, nicht dass es heisse, es sei kommunistisch." Demgegenüber stützte sich der Gemeinderat in seiner Haltung auf ein juristisches Gutachten, das „dahin lautet, dass er in vollem Recht und richtig gehandelt habe." Die Partei beantragte in dieser Situation ein weiteres Rechtsgutachten. Die ausserordentliche Gemeindeversammlung fand am 22.Juli statt. Sie beschloss mit grossem Mehr im Sinne der Initianten. Der Gemeinderat führte aber die von der Gemeindeversammlung zur Weiterbehandlung der Initiative gefassten Beschlüsse nicht aus und verlangte seinerseits am 6.August in einer Beschwerde an den Statthalter deren Aufhebung, da sie für solche Beschlüsse gar nicht kompetent sei. Die Beschwerde wurde jedoch vom Statthalter als unbegründet abgewiesen, im Rekurs an die Regierung dann aber geschützt.

In Unterseen selber schürte im Hintergrund Genosse Schlegel, „ein Spezialfreund des Genossen Jossi", das Feuer weiter mit dem Ziel, für sich selber einen Platz im Gemeinderat zu erreichen. Während Gemeinderat Albert Götz gesundheitliche Gründe angab und zurücktrat, gaben die beiden Gemeinderäte Hirschi und Wirth nicht nach. Da beantragte Grossrat Jossi an der Parteiversammlung vom 1.Oktober 1929, ihnen das Misstrauen auszusprechen, weil sie der Partei nicht alle Bestimmungen des eingegangenen Vergleiches bekannt gegeben hätten. Die Versammlung folgte dem Antrag in Abwesenheit der Angeschuldigten ohne Gegenstimme. Und schon am 2.Oktober 1929 wurde den beiden SP-Gemeinderäten schriftlich mitgeteilt, dass die Parteiversammlung ihnen jedes Vertrauen vollständig entzogen habe und sie auffordere, alle ihnen übertragenen Mandate zur Verfügung zu stellen. Die beiden waren nicht schützig, dies zu tun. An der Parteiversammlung vom 5.November 1929 wurde entgegengehalten und gerügt, dass der leidige Streit trotz des seinerzeitigen Schiedsspruches wieder aufgegriffen worden und „eine persönliche Geschichte" sei, nur „um die Genossen im Gemeinderat aus der Partei zu stossen." Die beiden unter Beschuss geratenen Gemeinderäte traten dann auf Jahresende zurück, wurden aber trotz allem von der Versammlung in verschiedenen andern Gemeindefunktionen belassen. Die kantonale Partei interessierte sich anschliessend nach einer Mitteilung an der Parteiversammlung vom 27.März 1930 für die Sache „und ist gewillt, vor Bundesgericht gegen oben erwähnten Entscheid zu rekurieren," unter Übernahme der entstehenden Kosten. Die Beschwerde des Gemeinderates wurde in der Folge vom Bundesgericht am 31.Mai 1930 endgültig gutgeheissen und die Beschlüsse der Gemeindeversammlung zur Weiterbehandlung der eingereichten Initiative ungültig erklärt.

Der Handel war damit abgeschlossen. Der zum Rücktritt aus dem Gemeinderat gezwungene Johann Wirth wurde kurz darauf unbestritten zum Präsidenten der Arbeiterunion gewählt, was einzelnen Parteimitgliedern in Unterseen wiederum in den falschen Hals geriet. An einem Versöhnungsversuch des Unionsvorstandes kam es zu harten Anwürfen. Zwei Vertreter aus Unterseen, darunter der Parteipräsident, liefen davon und beantragten daraufhin den Austritt der SPU aus der Arbeiterunion, was von der Parteiversammlung am 10.September 1930 dann auch mit Dreiviertel-Mehrheit beschlossen wurde. Austritte aus der Partei folgten. Als die Vorständekonferenz der Arbeiterunion hierauf einen Wiedererwägungsantrag stellte, zog die Parteiversammlung vom 12.Dezember 1930 mit Zweidrittelsmehrheit den Austrittsbeschluss zurück. Doch die persönlichen Spannungen blieben und erschwerten die Parteiarbeit noch über Jahre.

Fortsetzung der Reibereien

Die scheinbar gelöste Parteikrise setzte sich wenig später in einer Auseinandersetzung um Lehrer Schlegel in der Bevölkerung und in einem Streit unter den der SP angehörenden Lehrerschaft fort. Am 15.Mai 1931 war Lehrer Fritz Althaus in die SP aufgenommen worden. Bei seiner ersten Anwesenheit an einer Parteiversammlung beschwerte sich Lehrer und Gemeinderat Schlegel, dass, nachdem er seinem neuen Kollegen Althaus ein Zimmer angeboten habe, der aus der SP stammende Schulkommissionspräsident Fritz Jaun empfohlen habe, das Zimmer nicht zu beziehen. Jaun begründete sein Vorgehen mit den Erfahrungen, die eine Lehrerin im selben Mietverhältnis gemacht hatte; seine Intervention habe „zu Gunsten der Partei stattfinden müssen". Die angebrachte Kritik veranlasste Lehrer Schlegel daraufhin, von allen seinen Ämtern zurückzutreten. Er verliess die Versammlung, worauf ein Mitglied bemerkte, „es sei besser, wenn schliesslich einer gehe, als dass der gesamte Vorstand zurücktreten würde." Doch an der nächsten Vorstandssitzung vom 9.Juni lag ein Schreiben Schlegels vor, wonach dieser seine Demission zurückzog. An der folgenden Parteiversammlung am 12.Juni 1931 wurde mitgeteilt, dass Schlegel beim Soz.dem. Lehrerverein in Bern gegen den an der Auseinandersetzung beteiligten Genossen Beyeler Klage eingereicht habe. Dieses Vorgehen wurde getadelt. Schlegel führte dagegen an, dass nach den vergangenen Lehrerwahlen zwei Bürgerliche (Dr.Hans Spreng und Eduard Ritter) nach Huttwil gereist seien, um Lehrer Althaus zu veranlassen, bei ihm kein Wohnzimmer zu mieten. Er habe nur aus Rücksicht gegenüber Althaus von einer Klage abgesehen, unterstellte aber Beyeler ein Mitwirken an dieser Aktion. Heinz Schlegel musste schliesslich den Vorwurf entgegennehmen, „aus Kleinigkeiten immer ein grosses Wesen zu machen, was dann zu Unannehmlichkeiten führt." Man wolle nicht wieder den gleichen Weg beschreiten, wie es seinerzeit im Schneider-Handel gegen Genosse Wirth geschehen sei. Fritz Althaus, der in dieser Zeit der Partei als protokollierender Sekretär diente, verdross der Handel, liess sich in der Folge von seinen hohen musikalischen Fähigkeiten leiten und wandte sich der Stadtmusik Unterseen zu, die er über Jahre mit viel Engagement dirigierte und zu grossen Erfolgen führte.

Das Intrigenspiel ging weiter, und die Unstimmigkeiten in der Partei und in den Behörden belasteten die Versammlungen immer wieder. Schliesslich wurde am 6.November 1947 von einem Parteimitglied angekündigt, „an der nächsten Parteiversammlung werde ein Antrag gestellt, um einen Ausschluss des Genossen Schlegel zu erwirken." Er handle offensichtlich gegen die Parteiinteressen und sei infolgedessen eine Belastung. Vorfälle im Zusammenhang mit seiner Funktion als nebenamtlicher Spitalverwalter gaben weiteren Anlass zur Vorsicht. Für die bevorstehende Spitalabgeordnetenversammlung sollte er nicht mehr als Vertreter der Gemeinde nominiert werden. Am 5.Dezember wurde beschlossen, einen Fünfer-Ausschuss zu bilden, um „mit Genosse Schlegel zu Gericht zu sitzen." Dessen Bericht führte dazu, dass Heinrich Schlegel schliesslich von sich aus und persönlich eine schriftliche Austritterklärung abgab. Die Parteiversammlung vom 26.Dezember 1947 war damit einstimmig einverstanden.

Einführung eines Grossen Gemeinderates?

An der Parteiversammlung vom 18.März 1932 wurde über die Absicht der Bürgerlichen orientiert, dass eine vorberatende Kommission zur Einführung eines Grossen Gemeinderates eingesetzt werden solle. Unter Bezug, dass schon früher ein solcher Antrag zurückgewiesen worden sei, wurde erneut als Begründung aufgeführt,

„der Grosse Gemeinderat würde die demokratischen Rechte des Gemeindebürgers beschneiden. Auch parteipolitisch sei er für uns ungünstiger als die Gemeindeversammlung, weil in einem Grossen Gemeinderat die Soz.dem. Partei immer in der Minderheit sei, wogegen wir an der Gemeindeversammlung öfters etwas durchbringen können. Die Einführung des Grossen Gemeinderates würde auch vermehrte Kosten bedeuten. An der Gemeindeversammlung sei noch immer Platz gewesen. Von unserer Partei aus Kommissionsmitglieder zu ernennen sei wertlos, wir sollen einfach erklären, dass wir mit der Einführung des Grossen Gemeinderates nicht einverstanden seien."

Aus der Mitte der Versammlung wurde daran erinnert, „dass man uns die Macht rauben will, die wir hie und da an Gemeindeversammlungen besitzen." Die Partei beschloss darauf einstimmig, einen Grossen Gemeinderat abzulehnen, aber die Mitarbeit in der Kommission nicht zu verweigern, um auf dem Laufenden zu bleiben.

An der nächsten Parteivorstandssitzung wurde die Frage weiter diskutiert. Nach der Meldung, dass die Bürgerlichen die Einführung eines Grossen Gemeinderates hauptsächlich damit begründeten, es fehle uns ein geeigneter Raum für die Gemeindeversammlungen, da diese nicht in die Kirche passten, hielt der beigezogene kantonale Parteisekretär fest, „dass die Raumfrage absolut kein Grund für die Einführung des Grossen Gemeinderates sein könne, da 80% aller Gemeinden ihre Versammlungen in der Kirche abhalten. Der Grosse Gemeinderat bringe auch eine Verflachung des Interesses der Bürger an den Gemeindegeschäften mit sich. Unser gewichtigstes Argument gegen das bürgerliche Vorhaben sei, dass der Grosse Gemeinderat eine Beschneidung der demokratischen Rechte des Gemeindebürgers bedeute."

Am 24.Juni 1932 wurde im Vorstand gemeldet, dass der Gemeinderat mit 4:3 bei einer Enthaltung für den Grossen Gemeinderat Stellung bezogen habe. Zur Information der Stimmbürger führten die Bürgerlichen eine öffentliche Versammlung im Drei Schweizer mit einem Interlakner Hauptsprecher durch. Zur Begründung des gegnerischen Standpunktes wurde von Gottfried Beyeler ein Flugblatt verfasst und von den Vertrauenleuten der SPU in der Gemeinde verteilt. Es wandte sich an die Stimmberechtigten:

„Werte Mitbürger!

Heute Abend soll die Gemeindeversammlung über ihre Abschaffung und die Einführung eines grossen Gemeinderats beschliessen. Habt ihr Euch schon überlegt, was das zu bedeuten hätte? Diese Neuerung würde eine ganz bedenkliche Einschränkung Eurer demokratischen Rechte zur Folge haben, indem Euch Euer Mitspracherecht in Gemeindeangelegenheiten zum grössten Teil entzogen würde. Erscheint heute Abend in Massen in der Kirche, um Eure demokratischen Rechte zu verteidigen!"

Die Gemeindeversammlung vom 11. Juli 1932 lehnte schon das Eintreten auf das Geschäft mit deutlichem Mehr ab.

Kampf gegen die Nazis auf dem Bödeli

Die Partei zählte im Jahr 1932 108 Mitglieder. Am 25.März wurde jedoch an einer Parteiversammlung betrübt festgestellt, „dass bei den heutigen Verhältnissen (Faschismus in Deutschland, Anzeichen in der Schweiz)" ein Vortrag von Nationalrat Ilg schlecht besucht war. Im Juli 1933 wurde von der Geschäftsleitung der SPS allen Sektionsvorständen und Vertrauensleuten geschrieben: „Der Kampf gegen den Faschismus muss von der Partei energisch und mit dem Einsatz der ganzen Kraft geführt werden."

Da über die Zeit von 1933 bis 1946 die Protokolle der SPU fehlen, beleuchten nur einzelne, erhaltengebliebene Dokumente und persönliche Erinnerungen die damaligen Vorgänge. In der eidgenössischen Volksabstimmung vom 28.Mai 1933 gelang es erstmals, im Volk eine Mehrheit für den Standpunkt der organisierten Arbeiterschaft zu gewinnen und den Lohnabbau beim eidgenössischen Personal abzulehnen. Danach wurde von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit versucht, das verfehlte Ziel über Notrecht zu erreichen. Am folgenden 11.Juli 1933 erliess darauf die SPU den folgenden Aufruf an ihre Sympatisanten:

„Werte Mitbürger!

Als fortschrittlich denkender Bürger wird es auch Sie mit Sorge erfüllen, wie sich über unser Land eine Welle der schwärzesten Reaktion ausbreitet. Diese droht alles, was Sie zum Wohle der Werktätigen erkämpft haben, zu vernichten. Der Sieg der Front der Arbeitnehmer unter Führung der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften am 28.Mai hat Sie sicher gefreut. ... Der klare Volksentscheid, der in jedem andern Land den sofortigen Rücktritt der Regierung zur Folge gehabt hätte, wird missachtet. Weil die Demokratie diesmal die Rechte der Arbeitenden geschützt hat, habe sie versagt, sagen die bürgerlichen Parteien und sie fordern offen verfassungswidrige Vollmachten für den Bundesrat, damit er sein Finanzprogramm gegen den Willen der Mehrheit durchsetzen kann. Dieses Finanzprogramm sieht eine unerhörte Belastung des arbeitenden Volkes und eine abermalige Schonung der Besitzenden vor.

Zu diesem Kampf werden die bürgerlichen Parteien angetrieben von den verschiedenen Fronten, die unter Führung von hohen Militärs, Waffenreisenden (Sonderegger), abgetackelten Akademikern und vielen sorgenfreien Herrenstudentchen die Schweiz „erneuern" wollen. Ein Blick auf ihr Programm genügt, um zu wissen, was diese „Erneuerung" der Arbeiterschaft zu bringen verspricht: Zertrümmerung der gewerkschaftlichen und politischen Organisationen, damit Auslieferung an die Willkür der Ausbeuter; Aufrichtung der faschistischen Diktatur à la Hitler, d. h. Ausrottung aller mühsam erkämpften Volksrechte und jeglicher geistiger Freiheit. Arbeiter, Angestellter, Kleinbauer, Mitbürger! Wir können eine Front sein, an der die Schläge der Reaktion, des Faschismus und des nackten Unternehmeregoismus abprallen. Der 28.Mai beweist es. Nur wir sind die Front, die die Schweiz vor dem wirtschaftlichen und kulturellen Untergang bewahren kann. Das wollen bestimmt auch Sie. Aber dann reihen Sie sich ein in die Front der Werktätigen! Es genügt heute nicht mehr, nur gewerkschaftlich organisiert oder bloss Sympathisierender zu sein. Mit der politischen Organisation der Schaffenden - der Sozialdemokratischen Partei - steht und fällt die Gewerkschaft (Deutschland). Stärken Sie die Abwehrfront gegen Faschismus durch Erwerbung der Mitgliedschaft der Sozialdemokratischen Partei, von deren Existenz und Stärke die wirtschaftliche und kulturelle Hebung der Arbeiterklasse abhängt.

In ihren Reihen vereinigen sich alle, ob Arbeiter, Angestellter, Kleingewerbler oder Kleinbauer zu einem Trutzbund der Arbeit gegen die Knechtschaft des Kapitals. Jetzt gilt es Ernst!

Dieser Aufruf ist zum Teil wie für die heutige Zeit geschrieben! Und am 26.Januar 1934 wurde gemäss Protokoll als Standpunkt der SPU vertreten: „Prinzipiell gegen Lohnabbau; denn Kampf gegen Lohnabbau ist Kampf gegen Verelendung und somit auch gegen Faschismus."

Daneben sind einzelne persönliche Erinnerungen an die damaligen Vorkommnisse wachgeblieben. Als Nationalrat Hans Roth am 14.April 1961 an einer Parteiversammlung, die den älteren Parteimitgliedern gewidmet war, über die Entwicklung der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis in die Gegenwart berichtet und unter anderem auch ihr Verhältnis zu Marx, zum Kommunismus und zum Nationalsozialismus dargestellt hatte, meldeten sich zwei im politischen Kampf bewährte Mitglieder, worüber kurz protokolliert wurde:

„Als erster ergreift Bähler Ernst das Wort und gibt einen präzisen Bericht über die Entwicklung der Partei im Stedtli. Er erinnert, dass es etwelchen Mut gebraucht hat, sich als Sozialdemokrat zu bekennen, und dass man schwer hatte, als solcher überhaupt Arbeit zu finden. Genosse Michel Robert (genannt Schnätzhölzi) erzählt seine Erlebnisse hinter einer unbenutzten Türe im Eigersaal, anlässlich einer Versammlung der Nationalen Front."

An den zweiten Beitrag erinnert sich der Verfasser dieses Jubiläumsrückblickes als damaliger Teilnehmer der Versammlung auf seine Weise. Auf dem Bödeli gab es in der Vorkriegszeit eine Zelle der Nationalen Front, die sich auf die Übernahme der Macht durch die Nazideutschen in der Schweiz und damit auch bei uns vorbereitete. Als im Vorstand der SPU bekannt geworden war, dass im Saal des Restaurants Eiger ein Nazitreffen stattfinden würde, liess sich Michel Robert vor dieser Zusammenkunft von einem Genossen, der im Stockwerk über dem Restaurant wohnte und die Räumlichkeiten genau kannte, in einen Wandschrank einschliessen und hörte unbemerkt die Gespräche der ihm persönlich bekannten Nazisympathisanten mit, deren Namen er in seinem Erinnerungsbericht an der Parteiversammlung bekannt gab. Nach dem Schluss der Nazizusammenkunft, als die Luft rein war, wurde „Schnätzhölzi" aus seinem Versteck befreit, und er begab sich zu dem in der Nähe wohnenden Gottfried Beyeler, der die Sache eingefädelt und mitbeobachtet hatte und einen Bericht mit den Namen der Teilnehmer verfasste.

Daraus entstand ein Korrespondenten-Artikel über die Naziverhältnisse auf dem Bödeli, der grosses Aufsehen erregte. Am 23.Februar 1934, einen Monat, nachdem der als Brandstifter des Reichstags angeklagte und fälschlicherweise als Täter verurteilte Van der Lubbe hingerichtet worden war, als sich über ganz Deutschland eine blutige Terrorwelle wälzte, SA-Kasernen entstanden, die Juden vogelfrei erklärt, Konzentrationslager und Folterkammern eingerichtet wurden und als politische Morde auf der Tagesordnung waren, zehn Tage nachdem auf Betreiben Hitlers die Sozialdemokratische Partei auf dem ganzen Gebiet von Österreich verboten und 200 Parteifunktionäre verhaftet worden waren, erschien unter dem Titel „Auge um Auge" in der Tagwacht ein „Aufruf an die Oberländer Arbeiterschaft" der die damalige Situation grell beleuchtet und die herrschende Kampfesstimmung darstellt:

An die Arbeiterschaft des Berner Oberlandes.

„Auge für Auge, Zahn für Zahn" oder die Rückkehr ins Faustrecht, so überschreibt das „Oberl.Volksblatt" in Interlaken seinen Kommentar über einen „Tagwacht"-Artikel, der sich mit dem Bombenanschlag einiger Lausbuben der Nationalen Front in Zürich befasst. Und dies deshalb, weil wir uns erlaubten, in die Welt hinauszurufen, und zwar heute schon, nicht erst morgen, wenn es vielleicht schon zu spät ist: „Merkt euch, ihr Fröntler, für jeden von uns wird einer von drüben dran glauben müssen."

Wohl wissen auch wir, dass wir auf diese Weise einer Art Faustrecht entgegen gehen, direkt zu diesem gezwungen werden, leider! Der Herr Redakteur Wyss soll doch einmal über unsere Landesgrenzen hinausschauen und sich eingestehen, was aus der Arbeiterschaft gemacht wurde! Wie nennt man das, wenn eine päpstlicher als der Papst sein wollende Regierung mit Kanonen die Wohnstätten der Arbeiterviertel zusammenschiessen lässt, wobei jeder soldatische Anstand ausgeschaltet und rücksichtslos auch gegen Frauen und Kinder in dieser Kampfzone vorgegangen wurde? Gibt es hier auch biblische Erklärungen? Die Arbeiterschaft kann sich nur das eine merken, dass sie stets allein dasteht, wo es gilt, dem Recht, dem Kampf für ein menschenwürdiges Dasein den Weg zu bereiten. Wie berechtigt diese Worte sind, die uns alle auffordern, mit grösster Disziplin zusammenzuhalten und stets auf der Hut zu sein vor schurkischen Überfällen, das können wir nachstehend beweisen; es zeigt auch, dass wir hier im Oberland mitten drin stecken in einer jener schlimmen Brutstätten des Faustrechts. Die seinerzeit von dem bekannten Herrn Derendinger in Interlaken ins Leben gerufene Nationale Front hat sich nach einigen Angriffen bereits aufgelöst, um heute neuerdings in etwas anderer Form, unter dem scheinheiligen Namen „Volksbund" ihre skrupellose Tätigkeit, die mehr als staatsfeindlich ist, zu entfalten.

Unter dem Vorsitz des Herrn Derendinger wurde am 17.Februar (1934) im Hotel Eiger zu Unterseen eine geheime Versammlung abgehalten. Dort sagte Herr Derendinger, dass die Mitgliederzahl zirka 35 Mann sei und dass es allen Anwesenden streng verboten ist, nach aussen irgend welche Angaben zu machen, sowohl über die Parteistärke wie besonders über die Geschäftsleute, die dabei sind, um diese keinen Schwierigkeiten mit ihren Kunden auszusetzen. Der Monatsbeitrag beträgt gegenwärtig Fr. 1.-, das Abzeichen Fr. 1.50; dieses darf nur an den Versammlungen getragen werden und vorläufig ja nicht an der Öffentlichkeit! Für die Gewinnung eines Abonnenten des „Volksbund" wird eine Provision bezahlt von Fr. 3.-, die jedoch in die Kasse fliessen möge, um zur diversen Verwendung bereit zu sein. Die Anwesenden sind gebeten, von den Diskussionen reichlich Gebrauch zu machen, Vorträge zu halten, es braucht aber keiner Angst zu haben, denn für alles wird vollständige Verschwiegenheit und Diskretion zugesichert!

Ferner kam zum Wort Herr Photograph Nickles in seiner Eigenschaft als Gauleiter für Propaganda, der seine Instruktionen von der Führertagung in Olten bekannt gab. Er wies besonders darauf hin, dass die wirksamste Propaganda von Haus zu Haus sei, man lerne dann auch die Leute am besten kennen. (Herr Nickles, Oberleutnant der Schweizerischen Armee, war seinerzeit Besucher der Zentralschule für Hauptleute, wurde aber mangels offenbarer Qualifikation fallen gelassen!). In der Person des Herrn Karl Roth, Zimmermann in der Mühle Näf, Schneider AG in Unterseen, wurde ein Mann gefunden, der sich als Harstführer am besten eignet. Wie Herr Nickles erklärte, haben die Harstleute genau die gleichen Aufgaben, wie in Deutschland die SS- und die SA-Truppen! In diesen Kolonnen können nur ganz todesmutige Leute, die ihre Parteitreue genau zu prüfen hätten, aufgenommen werden. Also eine Truppe zum „Abkillen" des Gegners.

Diese Harstleute erhalten eine ganz besondere Ausbildung und werden dann später einmal für ihre aufopfernde und gefährliche Tätigkeit durch Placierung in Staatsstellen belohnt! Unter Bravorufen wurde Karl Roth als Führer dieser Truppe eingesetzt. Herr Nickles machte noch darauf aufmerksam, dass diese Harste im Widerspruch seien zum neuen Staatsschutzgesetz; es hätte vorläufig zwar nichts zu sagen, da deren Tätigkeit erst nachher aufgenommen werde. Mittel und Wege werden sich dann schon finden, um diese Truppe zu legitimieren!

Rudolf Grünig, kaufmännischer Lehrling in der Firma Dennler, Interlaken, hat dann noch ein kurzes Referat gehalten über die sogenannt Zionistischen Protokolle. Grünig gab seiner „Überzeugung" Ausdruck, dass mit der Judenhetze nun endlich begonnen werden müsse. Obwohl dieses Referat nicht überall Zustimmung fand, wurde es doch mit grosser Genugtuung aufgenommen."

 

Dann folgten Angaben über den Mitgliederbestand, worunter etwa zwanzig Namen aus Unterseen, auf deren Auflistung hier aber verzichtet wird. Es war die Zeit, als es auch auf dem Bödeli Leute gab, die mit „Heil Hitler" grüssten. Diese waren sich einig, dass die Schweiz wie die umliegenden Staaten bald einmal zu Hitler-Deutschland gehören würden.

Die dem „Volksbund" angehörende Ortsgruppe Interlaken-Unterseen nannte sich selber eine Kampfgemeinschaft und verfügte über eine eigene sogenannte Sport-Abteilung (leicht umzubenennen in SA!), offiziell um mit diesen Leuten ihre eigenen Versammlungen zu beschützen. Im Volk wurde sie aber als eine „Truppe zum Abkillen des Gegners" eingeschätzt, wozu nach der Nazi-Propaganda „die Juden, die Freimaurer und die Sozialdemokraten" gehörten. An ihren Versammlungen hatten sie ihre Rollen für die Macht

übernahme bereits verteilt. Der Aufruf an die Arbeiterschaft des Berner Oberlandes schloss:

„Genug für heute! Und nun, werte Genossen, sind diese Angaben etwa Beruhigungszückerchen? Kann man damit die Arbeiterschaft etwa einschläfern? Nein und nimmer, nein! Wir erklären nochmals: Für jeden von uns einen von drüben!

Wenn hier nicht gebieterisch Halt geboten wird, dann wird sich eben die Arbeiterschaft zur Selbstverteidigung rüsten müssen! Dann ist es allerdings unser Recht: „Auge um Auge, Zahn um Zahn!" Im übrigen merke sich jeder gerecht denkende Bürger die oben zitierten Namen. Es sind alles Feinde des demokratischen Staates, die lieber schon heute als erst morgen einen jeden, der nicht mit ihnen ist, an den Galgen hängen würden! Gebe sich niemand der Illusion hin, dass er geschont werde. Diese Fröntler, die sich alle aus einer Gesellschaftsschicht rekrutieren, der zur Hauptsache die Einkommen zufolge der heutigen Krisis zurückgebunden sind, und die somit ihr jetziges Dasein als unbefriedend betrachten, diese Fröntler werden, wenn sie glauben, der Moment sei günstig, einfach losschlagen, mit einer Brutalität, wie wir sie nunmehr rund um unser Schweizerland herum erlebt haben!"

Der Aufruf schlug in der Öffentlichkeit wie eine Bombe ein. Ein Resultat des Berichtes war, dass sich die Teilnehmer der Zusammenkunft daraufhin gegenseitig verdächtigten, unter ihnen befinde sich ein Verräter. Einige wollten ihre Teilnahme an der Versammlung nicht wahrhaben, andere distanzierten sich in der Folge von dieser verräterischen Organisation. Die Nazizelle auf dem Bödeli war aber nur geschwächt, einzelne verfolgten ihre trüben Ziele weiter. Die Sozialdemokraten auf dem Bödeli blieben auf der Hut.

Während des Krieges wuchs die Spannung noch weiter an. Ein deutscher Staatsangehöriger namens Walter Kirchhoff in Interlaken war der führende Nationalsozialist des Berner Oberlandes und dazu ausersehen, im Falle eines deutschen Überfalls als Gauleiter zu wirken und Terror und Schrecken zu verbreiten. Man erinnerte sich auf dem Bödeli auch nach dem Krieg noch an die Auftritte dieses Nazis, die mit den deutschen Siegen zu Anfang des Krieges immer frecher geworden waren. Als er im zweiten Kriegsjahr nach Deutschland zurückbeordert wurde, erdreistete er sich, in einem Inserat „nach jahrelanger Tätigkeit in der Schweiz alle Reichsdeutschen im Berner Oberland" auf den 13.Mai 1941 „zu einem Abschiedsabend in den Saal des Hotels Gotthard in Interlaken einzuladen, wo „in Anwesenheit des deutschen Gesandten Herr von Köcher und des Landesgruppenleiters Botschaftsrat Freiherr von Bibra" die Zusammenkunft stattfand. Dieser propagandistisch aufgezogene Anlass nur wenige hundert Meter von der Residenz General Guisans entfernt empfand die widerstandswillige Bevölkerung im Berner Oberland als Provokation.

Samuel Brawand von Grindelwald erzählte an seinem 100.Geburtstag eine Episode aus dem Kampf gegen Nazibewunderer:

Ich glaube, es war im Zusammenhang mit den Grossratswahlen im Jahr 1942. Mein Klassenkamerad Ernst Barben aus Spiez war Jungbauer und hielt im Glacier in Grindelwald einen politischen Vortrag. In der Diskussion meldete ich mich zum Wort und erklärte: „Solange die Jungbauern die politischen Ratschäge aus Deutschland beziehen, wollen wir nichts mit ihnen zu tun haben." - Am selben Tag am Abend fand im Adlersaal in Interlaken eine ähnliche Veranstaltung statt. Roth Hans war nicht zu Hause. Einige von uns fuhren mit dem Fahrrad hinaus, und wir hatten ebenfalls unsere Gesinnungsfreunde auf dem Bödeli zur Teilnahme angemacht. Dort wiederholte ich meine Feststellung und forderte die zahlreichen Versammlungsteilnehmer auf: „Wer meiner Meinung ist, verlässt mit mir den Saal." Es blieben nur einige wenige zurück, etwa zwanzig.

Im nächsten „Jungbauer", der Zeitschrift der politischen Bewegung gleichen Namens, erschien ein Artikel unter der Überschrift: „Der sozialdemokratische Nationalrat Brawand ist ein Lügner und Ehrabschneider", und zwei Flugblätter kurz vor den Grossratswahlen enthielten üble Anpöbeleien. Die Qualifikation und die Beschimpfungen konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, und die Sache landete schliesslich vor dem Richter.

Dort war es schwer zu beweisen, welche Mitglieder der Jungbauernbewegung Schulungskurse in Deutschland sowie den nationalsozialistischen Parteitag in Nürnberg besucht hatten. Dr. Hans Müller hatte „nur" eine Reise zu Reichsminister Darre unternommen. Der Vorfall endete in einem Vergleich ohne langen Prozess. Solche Auseinandersetzungen, im privaten wie im öffentlichen Kreis, waren keine Einzelfälle.

In der heutigen Diskussion um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg soll niemand sagen, man habe es nicht gewusst. Wenigstens die Arbeiterschaft wusste um die Grauen der Naziherrschaft. Es gab aber Leute in der Schweiz, die sich anpassen und dabei ihre Vorteile wahren wollten. Sie gedachten, Hitler seine politische und kriminelle Dreckarbeit machen zu lassen, um sich so der Linken zu entledigen und nachher die Volkswirtschaft ungehindert zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen zu können. Die im Herbst 1940 eingereichte berüchtigte „Eingabe der 200" verlangte vom Bundesrat die gewaltsame Beseitigung der freiheitlichen Kräfte unseres Landes und die volle Aktionsfreiheit für die Fünfte Kolonne. Ein Unterzeichner war Grossrat Ludwig Lengacher in Mülenen, Anführer der „Heimatwehr" im Oberland und in den Nationalratswahlen 1935 Kandidat der „Nationalen Erneuerung".

Vom „Sozialdemokrat" zum „Oberland"

In den Gemeindewahlen gegen Kriegsende im Jahr 1944 erreichte die Sozialdemokratische Partei im Stedtli eine überwiegende Mehrheit. Vom Anfang 1945 an gab sie als monatliches Mitteilungsblatt den von Gottfried Beyeler redigierten „Sozialdemokrat" heraus. Sie veröffentlichte darin „u.a. alle wichtigen Gemeindeangelegenheiten und - was Sie sonst nirgends lesen können - regelmässige Berichte aus den Verhandlungen des Gemeinderates" und begründete dieses Vorgehen:

„Seitdem uns die grosse Mehrheit der Bevölkerung die Führung des Gemeindeschiffleins anvertraut hat, fühlen wir uns verpflichtet, unsere schwere und verantwortungsvolle Aufgabe in engster Volksverbundenheit zu lösen. Dazu gehört vor allem eine gründliche Orientierung über alle Massnahmen der Gemeinde."

Das Mitteilungsblatt wurde in allen Kreisen mit Spannung erwartet und gelesen. Den zweiten Jahrgang konnte jedermann für Fr.3.- abonnieren. In der Nummer 12 vom 23.Dezember 1946 wurde als „wichtige Mitteilung" angefügt:

„Etwas Grosses ist geschehen: Den Arbeiterorganisationen des Berner Oberlandes steht ab 1.Januar 1947 eine eigene Lokalzeitung zur Verfügung. Das Verlagsrecht des „Oberland" ist an die Pressegenossenschaft der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei übergegangen. Somit wird der „Sozialdemokrat" nicht mehr erscheinen und alle Nachrichten, die er bis jetzt vermittelt hat, werden im Oberland erscheinen und noch viel mehr dazu!"

Und der Redaktor schrieb dazu:

„Nun „Sozialdemokrat" - du musst sterben, damit etwas besseres leben kann. Mit dem Übergang des Verlagsrechtes des „Oberland" an die Pressegenossenschaft des arbeitenden Volkes erhält das Oberland die seit Jahren und bei jeder Gelegenheit immer wieder gewünschte Zeitung, die viel mehr bieten wird, als unser Mitteilungsblatt imstande war. Das „Oberland" wird zu einer ausgebauten Lokalzeitung für das arbeitende Volk umgestaltet."

Von 1947 an erschien das „Oberland" unter Leitung von Gottfried Beyeler. Das Blatt wurde damals wegen seiner pointierten Leitartikel vom politischen Gegner beachtet und teilweise gefürchtet. Bei den eigenen Leuten musste dagegen unablässig um mehr Abonnenten geworben werden. Am 18.November 1951 fand z. B. in Matten eine Orientierungsversammlung statt, wozu die Parteipräsidenten und alle interessierten Parteimitglieder geladen waren. Man suchte freie Mitarbeiter und gab das Blatt später unter Fritz Hug aus Wilderswil als Hauptredaktor sogar täglich heraus. Auf die Dauer überforderte die Aufgabe die inzwischen drei nebenamtlichen Redaktoren, darunter Albin Stähli aus Gsteigwiler, später Unterseen, und den einzigen Setzer Karl Zumbühl. In den Sechszigerjahren wurde die Pressegenossenschaft schliesslich aufgelöst. Die Zeitung ging an das „Volksblatt" über, doch der Name „Oberland" wurde vom alten Verlagsbesitzer an die in Spiez erscheinende „Volkszeitung" weiterverkauft, worauf diese zum heutigen „Berner Oberländer" umgetauft wurde.

Nachdem die sozialdemokratische Tageszeitung „Oberland" eingegangen war, wurde ähnlich wie der „Sozialdemokrat" in den Vierziger-, in den Siebzigerjahren wieder lokal mit der „Stedtli-Press" versucht, die Wählerschaft in der Gemeinde besser zu informieren. Dieses Bedürfnis zeigte sich dann auch in beiden Amtsbezirken Interlaken und Oberhasli, sodass sich der Amtsverband und die Gewerkschaften der Sache annahmen und anschliessend in den Neunzigerjahren den sozialdemokratischen „Standpunkt" herausgeben liessen. Leider gelang es nicht, ein genügendes Interesse zu erzeugen, und es fehlte auch hier der Willen und die finanzielle Kraft, um dieses Projekt durchzuhalten.

Höhen und Tiefen

Im Jahre 1935 wurde mit der sogenannten Kriseninitiative versucht, die wirtschaftliche Notlage gemeinsam mit den Angestellten und einem Teil der Bauern zu bekämpfen. Obwohl sie vom Schweizervolk gesamthaft abgelehnt wurde, wirkte sie über die eigenen Parteigrenzen hinaus und erzeugte mit ihrem Resultat in der Arbeiterschaft eine Zukunftshoffnung. Der Parteipräsident schrieb im Jahresbericht:

„Der 2te Juni brachte die Abstimmung über die Kriseninitiative, welche die Kassenbüchlein und die Versicherungsgesellschaften leider zu Fall brachten, wenn auch nicht mit der Stimmenzahl, wie sie die Drahtzieher des Bundes vornehmer Herren erwarteten. Dieser Kampf war einer der prächtigst geführten, welcher der Berichterstatter bis heute mitgemacht hat. Folgende Resultate kamen zustande: Unterseen stimmte 540 Ja gegen 203 Nein, im Amt waren es 4233 Ja gegen 2550 Nein, und im Kanton zirka 91'000 Ja gegen 77'00 Nein."

Die Freude der Arbeiterschaft, für einmal die Mehrheit der Bevölkerung in der Gemeinde, im Amt und im Kanton hinter sich zu wissen, ist deutlich spürbar. Die aktive Arbeit einzelner SPU-Mitglieder rüttelte viele Gemeindebürger zur Mitarbeit in öffentlichen Dingen auf. Im Oktober 1943 wurde bei den Nationalratswahlen eine erfolgreiche Werbeaktion durchgeführt. Parteipräsident Herrmann Zimmermann konnte in der Einladung zu der am 18.Dezember 1943 stattfindenden Versammlung stolz mitteilen, dass 60 neue Mitglieder aufgenommen würden. An der Hauptversammlung der SPU vom 19.Januar 1944 konnten weitere 39 neue Mitglieder aufgenommen werden, sodass im Jahresbericht 1943 festgehalten wurde, dass die Mitgliederzahl zu Beginn des Berichtsjahres 61 und am Ende 170 betragen habe. Am 22.Dezember 1944 folgten weitere 32 Eintritte, und an der Hauptversammlung vom 3.Februar 1945 folgten wiederum 16 Aufnahmen. Die Zeit um das Kriegsende war eine Periode des Aufbruchs. Die Bevölkerung von Unterseen befand sich auf einem sozialen Höhenflug. Die Einführung der AHV wurde hier im Herbst 1947 mit 766 Ja gegen nur 58 Nein angenommen.

Die Verantwortlichen an der Spitze der Partei waren bestrebt, ihre seit 1945 bestehende politische Dominanz von 5 zu 2 im Gemeinderat nicht zu missbrauchen. Am 29.Januar 1949 verzichtete z.B. die SP darauf, einen ihr zustehenden Sitz in der Vormundschaftsbehörde zu besetzen, um einem bürgerlichen Fürsprecher den Eintritt zu ermöglichen. Man konnte damit der Gemeinde ja vielleicht auch einige juristische Beratungskosten sparen.

Auch Enttäuschungen blieben nicht aus. Über die Parteiversammlung vom 28.Oktober 1949 vermerkte der Protokollführer „nebenbei, dass es für unsere Partei beschämend ist, wenn von 260 Mitgliedern nur deren 36 erscheinen. Es sollte unbedingt ein grösseres Interesse an der ganzen Sache gezeigt werden." Und an der Parteiversammlung vom 30.Juni 1950 mit dem Haupttraktandum „Parteimitglieder fragen, Behördemitglieder antworten" erschienen nur 7 Mitglieder. Der Präsident fragte an, „ob es nicht ratsam wäre, die Versammlung auf einen späteren Termin zu verschieben zufolge des grossen Andranges. Zu allem fehlen ja für das Haupttraktandum die Behördemitglieder alle." An der nächsten Vorstandssitzung „lässt der Präsident noch einige wehmütige Worte fallen, und er sehe sich gezwungen, wenn es so weitergehen sollte, das Amt niederzulegen zufolge Mangel an Interesse seitens der meisten Mitglieder." Im Jahresbericht 1954 wird jedoch stolz bemerkt: „Der Grossratswahlkampf liegt hinter uns. Ist es nicht ausserordentlich wichtig, dass wir im Amt weitaus die stärkste Partei sind! Es gibt vielleicht in der Schweiz keine Gemeinde, in der die sozialdemokratische Mehrheit so ausgeprägt besteht, wie in unserem Unterseen." Die Partei blieb weiterhin aktiv. An der Parteiversammlung vom 22.November 1957 konnten nach einer erfolgreichen Werbeaktion 14 neue Mitglieder aufgenommen werden.

 

Kampf um den Finanzausgleich

An der Parteiversammlung vom 24.März 1950 wurde Gottfried Beyeler als Kandidat für die Grossratswahlen aufgestellt, mit der Begründung: „Geht es doch gerade hier um unsere Vertretung wie im Interesse des Finanzausgleichs und somit auch um die Arbeitslosigkeit im engeren Oberland." Die beiden Themen Finanzausgleich und Arbeitslosigkeit waren aktuell.

Am 15.Dezember 1950 vertrat der „auf hoher Warte stehende Genosse Beyeler, Grossrat, der ja auch in unserer Gemeinde als Finanzminister seines Amtes zu unserer Zufriedenheit waltet", das Gemeindebudget für das kommende Jahr, „unter dem Motto: Sparen und Schulden tilgen und den laufenden Geschäften gerecht werden. Regen Anteil findet die leidige Unterseen-Mauserei (ein Beitrag der Gemeinde zur Bekämpfung der Mäuseplage auf den Feldern), und da bis dato diesbezüglich noch kein Reglement geschaffen wurde, wurde hier mal energisch gekürzt. Wollen hoffen, dass es die Mäuse nicht merken."

Am 9.Februar 1951 diskutierte der Vorstand über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. „Doch ist leider gerade hier die Sache schwer zu regeln." Angesprochen wurde die Streikdrohung der Bauarbeiter wegen des Einsatzes von Baggern beim Aushub für die „neue Post" in Interlaken. „Hier sei der Pflichtkreis des BHAV" (Bau- und Holzarbeiterverband). Dessen Sekretär, Grossrat Walter Dürig aus Matten, gelang es damals nur mit viel Mühe, den Einsatz von Arbeitsmaschinen vor seinen Verbandsmitgliedern zu rechtfertigen und einen Proteststreik zu verhindern.

Ende dieses Jahres 1952 trat Gottfried Beyeler wegen seiner Wahl zum Schulinspektor aus dem Grossen Rat zurück. Er legte auch seine Ämter in der Gemeinde nieder und trat von seinen Parteifunktionen zurück. Der Präsident dankte ihm für seine treue Mitarbeit. „Er gehörte seit 25 Jahren dem Vorstand ohne Unterbruch an. Er hat manche schwierige Situation meistern geholfen und hat einen guten Anteil daran, dass wir Sozialdemokraten in der Gemeinde diese Bedeutung erlangten." An der Parteiversammlung vom 5.Dezember 1952 wurde protokolliert: „Mit einer Senkung des Steuerfusses kann heute noch nicht gerechnet werden. Wir hoffen es, aber wir warten erst das Resultat der Volksabstimmung vom 15.Februar 1953 ab" (über das vom Zurücktretenden stark mitgeprägte kantonale Finanzausgleichsgesetz). Am 27.Februar gab der Parteipräsident „die erfreulichen Resultate der letzten Abstimmung bekannt (in Unterseen mit 629 zu 29 Stimmen angenommen!) und dankte all den willigen Helfern. Besonderen Dank noch unserem verdienten Kämpfer für das in dieser Sache besonders Geleistete." In der Folge sprach Gottfried Beyeler an einer Gesamtfraktionssitzung am 27.November „anhand von Tabellen, die er eigens zur Orientierung zusammengetragen hat, zum Thema „Steuersenkung ja oder nein". Trotz auch geäusserten Bedenken befürworteten die vierzig anwesenden Behördemitglieder einstimmig eine Steuersenkung von 3,1 auf 2,8, die wegen des kantonal erreichten Finanzausgleichs unter den Gemeinden möglich geworden war. An einer öffentlichen Versammlung am 11.Dezember 1953 im Drei Schweizer wurde das Vorhaben den Gemeindebürgern erklärt und an der folgenden Budget-Gemeindeversammlung für das Jahr 1954 beschlossen. In Unterseen setzte daraufhin eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung ein.