Titelseite

Übersicht

Ein Vorwort

Zur Einführung

Über die Arbeiterbewegung

Auf dem Weg zu einer sozialen Schweiz

Zur Entwicklung der SP im Kanton Bern

Aus der Geschichte der SPU

Der Allgemeine Arbeiterverein Unterseen

Erster Arbeiterverein

Reaktivierung zum zweiten Arbeiterverein

Die sozialdemokratische Partei Unterseen

Namensänderung am 1. Mai 1918

Parteiorganisatorisches

Politisches Wirken in der ersten Nachkriegszeit

Streitpunkte, Stellungnahmen, Entwicklungen

Gleichberechtigung der Frauen

Gemeindewahlen

Schlussbemerkungen

Verzeichnisse

SPU - Parteipräsidenten und Parteisekretäre

SPU-Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte

SPU-Mitglieder im Bernischen Grossen Rat

Benutzte Quellen und Publikationen

Über die Arbeiterbewegung

Auf dem Weg zu einer sozialen Schweiz

Der Kampf um bessere Lebensverhältnisse ist so alt wie die Menschheit. Meist ging es dabei um das tägliche Brot, manchmal auch um eine gerechtere Beteiligung der arbeitenden Bevölkerung zu Stadt und Land am Wohlstand einer Oberschicht. Die Bauernkriege in der Reformationszeit in Deutschland sind ein Beispiel dafür, mit welcher Härte die Privilegierten im Laufe der Geschichte sich immer wieder gegen begründete Ansprüche der ärmeren Bevölkerungsschichten zur Wehr zu setzen wussten. Erst, als in der Zeit der Aufklärung allgemein die Einsicht wuchs, dass Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle gelten müssen und diese Ziele in der Französischen Revolution zu politischen Forderungen wurden, entstand ebenfalls bei uns ein grosser Druck zur Neuordnung der menschlichen Gesellschaft. Im beginnenden Maschinenzeitalter erzwangen die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse eine Neuordnung des Staatswesens. Der Untergang des Alten Bern und der Alten Eidgenossenschaft im Jahre 1798 und die Bundesverfassung von 1848 sind nur zwei Marksteine in dieser Entwicklung.

Die Geschichte unserer Arbeiterbewegung reicht über zweihundert Jahre zurück. Sie begann, als gegen Ende des 18.Jahrhunderts Maschinen erfunden wurden, die mehr produzieren konnten als die Menschen mit blosser Handarbeit zustande brachten. Damit endete die Zeit der Webstühle - wo in isolierter Heimarbeit zu Löhnen, wie sie von herumreisenden „Baumwollherren" diktiert wurden, von frühmorgens bis spätabends ums nackte Überleben gekämpft werden musste - und das Maschinenzeitalter brach an. Es führte zusammen mit dem durch die französische Revolution in Europa eingeleiteten politischen Umbruch zu ganz neuen Lebensgewohnheiten und Arbeitsverhältnissen.

An Flussläufen entstanden mit Wasserkraft betriebene Tuchfabriken. Die dort arbeitenden Weber wurden nun zu „Fabriklern", die sich mit ihrem neuen Arbeitsort dem Familienkreis entfremdeten und dort gleichzeitig einem schrankenlosen ausbeuterischen Wirtschaftsliberalismus ausgesetzt waren. Mit Kinderarbeit wurde der Gewinn weiter maximiert. Verzweiflung und Not trieb zur Selbsthilfe. So kämpften zum Beispiel die Weber gegen die Einführung von mechanischen Webstühlen und steckten 1832 in Uster eine neu eingerichtete Fabrik in Brand. Der technische Fortschritt ging trotzdem unaufhaltsam weiter. Aus der mechanisierten Textilindustrie entwickelte sich später die für unser Land bedeutungsvolle Maschinen- und Metallindustrie.

In diesem gewandelten sozialen und gesellschaftlichen Umfeld entstanden die Arbeiterorganisationen. Zuerst wurde 1838 in Genf der Grütliverein von Johannes Niederer, einem Freund und Mitarbeiter von Heinrich Pestallozzi als gesellige Vereinigung für in Genf niedergelassene Ostschweizer gegründet. Unter der Devise „Durch Bildung zur Freiheit" verbreitete sich dieser patriotisch-demokratische Arbeiterbildungsverein über das ganze Land. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts plagte unser Land eine Massenarmut, Auswanderungswellen nach Übersee waren die Folge. Als Karl Marx und Friedrich Engels eine europaweite Diskussion um das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit entfachten und 1848 das Kommunistische Manifest erschien, schreckte das besitzende Bürgertum auf. Die Arbeiterschaft organisierte sich und forderte bessere Lebensverhältnisse und gesellschaftliche Anerkennung. Der Kampf um Sozialreformen begann. Es entstanden Armengesetze, Kinderschutzgesetze, Arbeitszeitgesetze und im Kanton Glarus im Jahr 1864 das erste Fabrikgesetz (mit 12 Stunden täglicher Arbeitszeit für Erwachsene, Verbot von Nachtarbeit, Schonzeit für Schwangere), im Kanton Bern z.B. im Jahr 1865 eine Verordnung über Kinderschutz in Phosphor- und Zündholzfabriken.

1864 kam es auf Initiative englischer Gewerkschafter und französischer Gruppen zu einem die Landesgrenzen übergreifenden Zusammenschluss der Arbeiterbewegung, der „Ersten Internationalen". Sie verlegte ihren Sitz nach Amerika und wurde 1876 wieder aufgelöst. Bei uns wurde im Jahr 1873 in Olten als Zusammenfassung aller lokalen Arbeiterorganisationen der erste Arbeiterbund der Schweiz gebildet. Daraus entwickelten sich der 1880 gegründete Schweizerische Gewerkschaftsbund, und nach zwei vergeblichen Anläufen wurde schliesslich im Jahre 1888 die Schweizerische Sozialdemokratische Partei geschaffen, in der dann nach dem ersten Weltkrieg der Grütliverein aufging. Die SPS trat 1889 der Sozialistischen Arbeiter-Internationalen bei, der sogenannten Zweiten Internationalen, die 1912 in Basel mit einer grossen Friedenskundgebung vergeblich den aufziehenden Weltkrieg zu verhindern suchte. 1919 trat die SPS aus dieser bedeutungslos gewordenen Organisation aus.

Parallel zu dieser Entwicklung waren auch die Bürgerlichen nicht untätig. Nachdem die Konservativen und die Liberalen im 19.Jahrhundert in den Kantonen und seit der Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 in unserem Lande die Führungsrolle ohne spezielle Parteiorganisationen innehatten, entstanden 1863 der landwirtschaftliche Verein als Vorläufer des heutigen Bauernverbandes, 1870 der Handels- und Industrieverein und 1879 der Gewerbeverband, 1894 wurde die Freisinnig-demokratische Partei der Schweiz gegründet und schliesslich existiert die Konservative Volkspartei als festgefügte Organisation ab 1912, während die heutige SVP ursprünglich als Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) im Jahre 1919 vom nachmaligen Berner Bundesrat Minger gegründet wurde.

Die älteste gesamtschweizerische Organisation in der Arbeiterschaft war der 1838 in Genf gegründete Grütliverein. Unter seiner Mitwirkung entstanden im ganzen Land Speiseanstalten, Sparkassen und Krankenkassen. Neben seinem politischen Wirken auf eidgenössischem und kantonalem Boden entfaltete der Grütliverein ein aktives geselliges Vereinsleben im Gesang- sowie im Turn- und Schützenwesen. Anfänglich marschierten die Grütlianer politisch an der Seite der Linksradikalen. Bei den Bemühungen um die Gründung einer schweizerischen sozialdemokratischen Partei hielten sie Distanz, stellten sich dann aber 1892 durch eine Statutenrevision auf den Boden der Sozialdemokratie. Sie trennten sich 1915 wegen der zunehmenden Radikalisierung der Arbeiterschaft in der Not des ersten Weltkrieges von der SPS und lösten sich schliesslich im Jahre 1925 als Verein auf.

Nach der Gründung der SPS im Jahre 1888 wurde 1890 in Zürich ein erster SP-Nationalrat gewählt. Die junge Partei begann ihren politischen Kampf im Jahre 1899 mit einer Initiative „Recht auf Arbeit", ihr Sprachrohr wurde die „Berner Tagwacht". Die SP-Vertretung im Nationalrat wuchs bis 1902 auf sieben Mitglieder an und erhielt wegen ihrem Hauptsprecher Hermann Greulich den Übernamen „Kapelle Greulich". Vor dem ersten Weltkrieg zählte die SP-Fraktion bereits 17 Mitglieder, wobei zu diesem Zuwachs die religiös-soziale Bewegung unter Pfarrer Leonhard Ragaz beitrug, der 1913 aus Protest gegen die Haltung des Bürgertums nach dem Zürcher Generalstreik der SP beitrat und damit kirchliche Solidarität mit der organisierten Arbeiterschaft demonstrierte. Ragaz und seine Anhänger waren militante Pazifisten und traten für einen freiheitlich-demokratischen Sozialismus ein und stemmten sich, wie der Berner Robert Grimm an den Konferenzen von Zimmerwald 1915 und Kiental 1916, wo auch Lenin teilnahm, gegen linksradikale Tendenzen. 1918 kam es zur Spaltung der Arbeiterbewegung und in Zürich zur ersten Gründung einer Kommunistischen Partei.

Nach der überstandenen Not der Kriegszeit wurde unser Land durch den grossen Generalstreik erschüttert. Er dauerte vom 12. bis 14.November 1918; an den Schlusskundgebungen zum Streikabbruch nahmen ungefähr 250'000 Leute teil. In der Schweiz wurde gegen streikende Arbeiter oft das Militär aufgeboten, so z.B. 1860 in Lausanne, 1869 im Bauarbeiterstreik in Genf, 1875 im Streik der Mineure beim Gotthardtunnelbau mit 4 Toten und 12 Verwundeteten, 1898 im Bauarbeiterstreik in Genf, 1901 im Streik der Simplon-Tunnelarbeiter, 1902 im Genfer Generalstreik, der zu 300 Dienstverweigerern führte, 1903 im Maurerstreik in Basel, 1904 im Rickentunnelarbeiterstreik sowie 1912 im Zürcher Generalstreik. Die in der Arbeiterschaft sich entwickelnde ablehnende Haltung gegenüber der Armee ist zum Teil auf diese Ereignisse zurückzuführen. Im Generalstreik 1918 antwortete das „Oltener Aktionskomitee" auf das von General Wille beantragte und vom Bundesrat beschlossene grosse Truppenaufgebot mit einem allgemeinen Aufruf und stellte dabei neun Forderungen:

  1. sofortige Neuwahl des Nationalrates nach Proporz
  2. aktives und passives Stimmrecht der Frauen
  3. Einführung einer allgemeinen Arbeitspflicht
  4. 48-Stunden-Woche in öffentlichen und privaten Unternehmen
  5. Reorganisation der Armee zu einem Volksheer
  6. Sicherung der Lebensmittelversorgung
  7. Schaffung einer Alters- und Invalidenversicherung
  8. Staatsmonopol für Importe und Exporte
  9. Tilgung der Staatsschulden durch die Besitzenden

Mit einem grossen Militäraufgebot wurde der Abbruch des Generalstreiks erzwungen, und die Hauptverantwortlichen des Streikkomitees wurden im folgenden Jahr in einem Prozess von einem Militärgericht zu Gefängnisstrafen verurteilt. Robert Grimm sass sein halbes Jahr im Schloss Blankenburg im Obersimmental ab.

Nachdem die SPS bereits im Jahr 1913 eine Initiative für die Proporzwahl des Nationalrates eingereicht und die entsprechende Abstimmung 1918 gewonnen hatte, fanden 1919 die ersten Nationalratswahlen nach neuem System statt. Die SP konnte unmittelbar nach dem Generalstreik ihre Sitzzahl auf 41 verdoppeln. Mit diesem Erfolg wurde die Arbeiterbewegung zu einer entscheidenden politischen Kraft in unserem Lande. Und als weitere Frucht des Generalstreiks brachte eine Teilrevision des Fabrikgesetzes die 48-Stunden-Woche. 1935 änderte die Partei angesichts der Bedrohung der Demokratie durch Hitlerdeutschland ihre ablehnende Haltung zur Landesverteidigung und trat während des zweiten Weltkrieges, nach einem erneuten Wahlerfolg im Jahre 1943 mit weiteren 11 Sitzgewinnen, in den Bundesrat ein. Erster SP-Bundesrat wurde der in Grindelwald aufgewachsene, als Mitglied des Oltener Streikkomitees verurteilte Ernst Nobs, der als Redaktor an der Zürcher SP-Zeitung „Volksrecht" gewirkt hatte und später zum Stadtpräsidenten von Zürich aufgestiegen war.

Ein weiterer Markstein auf dem Weg zu einer sozialeren Schweiz war die von der Linken seit den ersten Weltkrieg geforderte AHV, deren Einführung durch die im zweiten Weltkrieg unter den verschiedenen Bevölkerungsschichten entstandene Solidarität im Jahre 1947 möglich wurde. Der Ausbau unseres Landes hin zu einer sozialeren Schweiz beschleunigte sich, als der nachfolgende SP-Vertreter Max Weber im Jahr 1953 aus Protest aus dem Bundesrat zurücktrat und die SP im Jahre 1959 mit zwei Vertretern in die Regierung zurückkehrte. Der Kampf um gleiche Rechte für alle dauerte weiter an, so vor allem in der Frage der Gleichberechtigung der Frauen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.